Whisper
nächsten Tag sein Zimmer nicht verlassen hat. Dass ich stundenlang an seine Zimmertür trommeln musste, bis er mir endlich aufgemacht hat – um mir ins Gesicht zu spucken. Dass er seit diesem Tag kein einziges Wort mehr mit mir gesprochen hat. Dass meine Mutter mich gebeten hat das Haus zu verlassen und mich niemals wieder blicken zu lassen.«
»Gut«, sagte David kalt. »Oder nicht gut, wie auch immer. Wir haben einen Beweis, wir haben das Buch. Wir gehen zur Polizei. Wir haben jetzt endlich etwas in der Hand, womit wir diese Geschichte zu Ende bringen können. Was ist, kommst du mit?«
Das Klingeln des Telefons kam Robert zuvor. Diesmal ging er dran.
»Ja«, hörte Noa ihn sagen. »Ja, sie sind hier, beide. Willst du Noa – was? … WAS?« Robert hielt inne, Noa konnte Kats Stimme durch das Telefon hören, ohne ihre Worte zu verstehen. Kat klang hysterisch, völlig außer sich, so wie Noa sie nie gehört hatte – nie im wirklichen Leben jedenfalls. Im Fernsehen hatte Kat oft Frauen gespielt, denen schreckliche Dinge geschahen – und ihre Stimme hatte dann genauso geklungen wie jetzt. Gilbert, um Himmels willen, war etwas mit Gilbert? War er vielleicht doch … Noa wollte aufspringen und zum Telefon stürzen, aber Robert hob abwehrend seine Hand und David legte die seine auf Noas Schulter, aber er konnte sie nicht beruhigen, Noa fing am ganzen Körper an zu zittern, während sie wie gebannt auf Robert starrte.
»Oh, mein Gott«, kam es von ihm. »Nein, bleib. Bitte bleib, mach dir keine Sorgen, ich kann dir jetzt nicht alles erzählen, das ist eine lange Geschichte, ich … vertrau mir. Ich ruf dich wieder an. Pass auf dich auf, beruhige dich jetzt und bleib, wo du bist, okay? Es ist alles in Ordnung, es ist alles okay. Kat? Hörst du mich? Kannst du mich hören? Hey! Kat. Ich liebe dich.«
Als Robert den Hörer auflegte und sich zu Noa und David umdrehte, stand der Schock ihm ins Gesicht geschrieben, aber das Versteinerte war weg. Seine Gesichtszüge waren weich, als hätte das Aussprechen der letzten drei Worte ihn von etwas erlöst. Noa wusste plötzlich, dass es nichts mit Gilbert war, dass es irgendetwas anderes sein musste, das Kat so aus der Fassung gebracht hatte. »Was?«, fragte sie. »Was ist los?«
»Die Polizei hat Kats Wagen untersucht«, entgegnete Robert tonlos. »Kurz nachdem ich weg war, kam die Kripo zu ihr. Danach haben diese idiotischen Krankenschwestern Kat erst mal so voll gepumpt mit Beruhigungsmitteln, dass sie nicht mehr Piep sagen konnte. Jedenfalls«, Robert senkte seine Stimme, als fürchtete er belauscht zu werden. »Jedenfalls war die Ursache für den Unfall nicht der Motor. Die Geräusche, die ihr auf der Autobahn gehört habt, das waren die Zündkabel. Da ist euch wohl ein Marder in den Motor geschlüpft und hat die Kabel angefressen, so was gibt es oft, vor allem hier, auf dem Land. Deshalb auch das stotternde Geräusch beim Beschleunigen. Aber der Unfall kam durch die Bremsen, genau, wie Kat es gesagt hat.« Robert schwieg einen Moment, dann sah er Noa in die Augen. »Eure Bremsen sind manipuliert worden. Jemand muss in eurem Auto gewesen sein. Jemand muss am Bremsgestänge unter dem Lenkrad rumgefummelt haben. Dadurch passiert eine Weile lang erst mal nichts, aber wenn das Ding dann irgendwann rausfliegt, ist es aus mit Bremsen. Jedenfalls haben die von der Polizei das gesagt, ich kenn mich mit so was nicht aus.«
Robert geriet ins Wanken, er musste sich an der Wand festhalten und Noa schnappte nach Luft. Die Geräusche gestern Nacht im Garten, schoss es ihr in den Kopf. Die leisen Schritte, das metallische Klappern, das sie noch halb für einen Traum gehalten hatte. Aber es war kein Traum gewesen.
Und plötzlich sah Noa noch ein Bild vor ihrem inneren Auge, ein gestochen scharfes Bild. Gustaf, der Hobbymechaniker, vor Davids VW-Bus, in seinem blütenweißen Hemd. Es war der Tag gewesen, an dem Noa und David sich zum ersten Mal geküsst hatten.
»Geht ihr jungen Leute mal, ich krieg das schon alleine hin«, hatte Gustaf gesagt. Offensichtlich hat er noch ganz andere Dinge alleine hinbekommen, dachte Noa. Er hat versucht uns umzubringen.
ACHTUNDZWANZIG
Der Sturm hat sich gelegt, er kam und ging so schnell, dass ich mich frage, ob alles nur ein Traum war. Es ist sehr still hier oben. Zum ersten Mal fällt mir auf, wie still es hier oben ist.
Eliza, 21. August 1975, 23:30 Uhr
S ie gingen nicht zur Polizei.
Sie blieben bei Robert und Robert rief in der Kneipe an. Es
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