Whisper
hat sich draußen rumgetrieben, weiß der Himmel, warum, und er hat sie erkannt. Als eine Woche später die Polizei da war, hat Kord nichts gegen Marie ausgesagt, aber danach fing er an sie zu belästigen, bis ich ihm einen kleinen Besuch abgestattet habe.« Robert steckte sich eine Olive in den Mund. Sein Gesicht war dunkel, in seinen Augen blitzte der Zorn und Noa musste an Elizas Tagebuch denken, an das, was sie über den Maler geschrieben hatte, dass sie das Gefährliche mochte, das von ihm ausging, und dass sie ihn seltsam schön fand, wie eine Nacht ohne Sterne. Robert spuckte den Olivenkern in seine Handfläche und warf ihn auf seinen Teller. »Danach hat Kord sie jedenfalls in Ruhe gelassen, aber vor kurzem hat er wieder angefangen. Auf dem Dorffest, um genau zu sein.« Robert wechselte einen kurzen Blick mit Noa. »Marie war gestern bei mir und hat es mir erzählt. Sie sagte, sie sei schon einmal hier gewesen, in der Nacht nach dem Dorffest. Sie sagte, sie hätte Licht im Haus gesehen, aber ich wäre nicht da gewesen. Ihr wart hier, nicht wahr?«
»Ja. Das waren wir. Wir haben das Bild von Eliza gesehen«, sagte Noa. »Ein Foto gab es auch. Ein Foto von Eliza, auf dem Dachboden. Sie trug einen hellen Kimono und stand vor dem Abgrund. Sie hatte die Arme ausgebreitet und du – du hast das Foto gemacht.«
Noa hatte die letzten Worte nicht als Frage formuliert und Robert schien nicht erstaunt darüber zu sein. Seine Hände strichen über das Buch, das noch immer auf seinen Knien lag. Es war eine leichte, fast zärtliche Bewegung, während sein Gesichtsausdruck noch immer dunkel war.
»Eliza sprach oft davon, zu fliegen. Irgendwo herunterzu springen und zu fliegen. Sie lachte dann immer, als sei es ein Spaß, ein Spiel. Aber ihr Lachen …« Robert schloss die Augen, als wollte er die Erinnerung verdrängen. »Ihr Lachen war eigentlich ein Weinen. Ein Schreien. Ja, ich habe ein Foto von ihr gemacht. Sie hat mich darum gebeten. Sie hatte ihrem Vater die Kamera geklaut und oben auf dem Boden versteckt. Sie sagte immer wieder, wie sehr sie ihren Vater hasste. Aber wenn sie ihn ansah, wenn sie manchmal in eins der Zimmer kam, in denen wir gearbeitet haben, dann war da kein Hass in ihren Augen. Da war nur Schmerz.«
»Und die Mutter?«, fragte Noa. »Was war mit Elizas Mutter?«
Robert zuckte mit den Schultern. »Sie war depressiv. Ich habe sie nie zu Gesicht bekommen, ich glaube, sie lag nur im Bett. Eliza sagte mir einmal, sie hätte den Tod ihres Bruders nicht überwunden. Er ist mit dem Motorrad verunglückt, als Eliza zwölf war. Jonathan, er hieß Jonathan. Eliza sagte, er war der Liebling ihres Vaters, aber ich glaube, sie liebte ihn auch. Manchmal hatte ich das Gefühl, sie wollte ihm folgen.«
Robert hob den Kopf. »Das Foto vom Dachboden. Wo habt ihr es?«
»Ich habe es entwickelt«, sagte Noa leise. »Es war noch in der Kamera, ich … es, es war doppelt belichtet. Ich kann es dir zeigen, wenn du willst.«
Robert schüttelte den Kopf und legte Elizas Juwel auf den Tisch.
»Wir haben noch ein Foto gefunden«, sagte David und drückte seine Zigarette auf dem weißen Unterteller aus, den Robert ihm hingeschoben hatte. »Hier in deinem Haus. Das Foto von dir und Gustaf. In deinem Nachttisch. Ihr seid Brüder. Ihr zwei seid Brüder und ich hatte keine Ahnung. Ich habe fast mein ganzes Leben mit Gustaf verbracht und ich hatte keine Ahnung, dass ihr Brüder seid. Dass Esther … dass sie deine Mutter ist. Verdammt, Robert, was ist passiert? Was ist in dieser Nacht passiert?«
Robert ging in die Küche und kam mit einer Flasche Whiskey und drei Gläsern zurück. Noa und David winkten ab, aber Robert goss sein Glas halb voll und trank es leer, in einem Zug. »Was passiert ist, habt ihr gelesen«, sagte er bitter. »Meinen Teil der Geschichte habe ich erfüllt. Danach bin ich gegangen. Eliza hat mich weggeschickt und ich bin gegangen, die Leiter zurück nach unten. Davongeschlichen habe ich mich, wie ein Dieb mit leeren Händen. Am nächsten Morgen war Eliza fort. Eine Woche später kam die Polizei. Das ist alles, was ich weiß.«
»Und Gustaf?« David griff Robert am Arm, aber Robert schüttelte ihn ab. »Verdammt, spreche ich undeutlich? Ich weiß nicht, was mit Gustaf war. Ich habe ihn nicht gesehen. Ich habe nichts gesehen, nur Eliza. Nur Eliza habe ich gesehen, was wollt ihr sonst noch von mir hören? Ich weiß nicht mal, ob Gustaf überhaupt auf dem Dachboden gewesen ist! Ich weiß nur, dass er am
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