White Horse
Hinterteil, das
weiÃlich schimmert.
Lisa liegt unter ihm, das Gesicht in die Kissen gepresst. Sie hat
sich mit ihrem Unglück abgefunden und kämpft nicht mehr dagegen an.
Ekel schieÃt wie heiÃe Lava und Vulkanasche aus meinen Poren, als
ich sein Stöhnen höre. Ein kurzer Aufschrei ist die einzige Warnung, die er
bekommt, als ich mich nach vorn werfe und meine gesplitterten Fingernägel in
seine nackte Haut kralle.
Ich habe mit einem Kampf gerechnet, aber der Mann fällt einfach in
sich zusammen und bleibt schlaff liegen, als warte er auf meine Anweisungen.
»Aufhören!«, fauche ich ihn an.
Seine Stimme ist rau und heiser. »Es tut mir leid.«
»Sag ihr das! Und dann verschwinde!«
Er erhebt sich und steht mit hängenden Schultern vor mir.
»Entschuldige«, wiederholt er.
»Lisa!«, fauche ich. »Steh auf und pack deine Sachen!« Ich würde
gern sanfter mit ihr umgehen, aber damit hole ich sie nicht aus ihrer
Erstarrung.
Nach einem kurzen Zögern schiebt sie sich aus dem Bett. Sie streift
die Jeans hoch und macht den ReiÃverschluss zu, ohne das Kinn zu heben. Nicht du musst dich schämen, möchte ich schreien. Er ist der Dreckskerl. Er ganz allein.
»Lisa gehört jetzt zu mir«, erkläre ich dem Mann, der sie gezeugt
hat. »Wir gehen.«
»Es tut mir leid.« Immer die gleichen Worte. Eine kaputte
Schallplatte.
Er rührt sich nicht vom Fleck. Seine Schultern zucken, und ich
merke, dass er weint. Während seine Tochter ihre Habseligkeiten zusammensucht
und in einen groÃen Rucksack stopft, widerstehe ich dem Impuls, einen Arm um
seine Schultern zu legen. Was mache ich hier?, frage ich mich entsetzt. Ich bin
im Begriff, einen Vergewaltiger zu trösten.
»Wir müssen nicht zu Monstern werden. Wir können unsere Zukunft
immer noch selbst bestimmen.«
»Aber wenn mich dieser Drang überkommt â¦Â«
»Sie ist deine Tochter.«
»Es tut mir leid.«
»Wir brechen jetzt auf. Lisa?«
Lisa schüttelt den Kopf; sie findet keine Abschiedsworte für ihn.
Wir packen Lebensmittel ein: Brot, Eingemachtes, Konservendosen. Vor
allem kalorienreiches Zeug. Wir wickeln die Sachen in Müllbeutel und verstauen
sie in meinem Fahrradkorb. In der Küche ist Milch. Einer der Männer hat die
Kühe gemolken, die im Hof hinter dem Wohnhaus kauern und nach Gras suchen. Sie
haben Glück. Der ständige Regen beschert ihnen üppiges Futter. In meinem Hinterkopf
taucht die Vorstellung auf, dass ich eine Kuh schlachten müsste, um zu
überleben. Meine Arme sind rot verschmiert. Was wie Ketchup aussieht, ist in
Wahrheit Blut. Ich schiebe den Gedanken beiseite. Noch sind wir nicht an diesem
Punkt.
»Wir sollten die Milch gleich austrinken«, sage ich und gieÃe sie in
zwei Gläser. Mein Würgereflex setzt ein, aber ich zwinge mich, die lauwarme Flüssigkeit
zu schlucken, weil ich weiÃ, dass mein Körper sie braucht. Allmählich werden
die Nahrungsmittel knapp. Etwa neunzig Prozent der Bevölkerung sind tot, aber
es gibt längst keine leicht verderblichen Sachen mehr. Auch Fastfood ist so gut
wie aufgebraucht. Was bleibt, sind Fertigprodukte. Fixgerichte mit langem Verfallsdatum.
Irgendwann werden wir alle zum Sammeln und Jagen zurückkehren müssen â wenn wir
bis zu diesem Irgendwann durchhalten.
Lisa nippt an der Milch wie eine Kirchenmaus an einem kostbaren
Stück Käse.
»Wo ist mein Onkel?«
Die Frage hängt zwischen uns in der Luft.
»Er liegt da hinten. Ich musste ihn stoppen.«
Sie schluckt. »Ist er tot?«
Ich will ihn nicht berühren. Wirklich nicht. Aber sie scheint von
mir zu erwarten, dass ich weiÃ, was zu tun ist. Sie hat keine Ahnung, dass ich
erst jetzt zum Nachdenken komme. Dass ich mir die richtigen Antworten nicht aus
dem Ãrmel zaubern kann.
Also gehe ich in die Hocke. Presse angeekelt zwei Finger gegen den
Hals ihres Onkels, wo sie sich in Fettwülsten verlieren.
Hoffentlich kommt er nicht zu sich! Wie eine Litanei bete ich mir
diesen Satz vor. Die Finger, die nicht in seinen Speckfalten versinken,
umklammern ein Schälmesser. Eine postapokalyptische Lebensversicherung.
Zunächst kann ich keinen Puls fühlen, und ich halte den Fetten schon für tot. Aber
nein ⦠da ist er. Pa-rump, pa-rump, pa-rump. Die
hastigen Schläge eines kleinen Trommlers.
»Er lebt.« Zumindest im Moment noch, denn ein
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