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Whitley Strieber

Whitley Strieber

Titel: Whitley Strieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Kuss des Vampirs
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angekettet auf dem Boden kauerte.
    »Lassen Sie das. Wir schätzen Neugierde nicht«, sagte Leo. Aber er hatte das Gesicht bereits erkannt. »Kommen alle diese Leute aus Washington?«
    »Aus Washington, aus dem Kreml, aus der Downing Street, aus dem Vatikan. Sie kommen von überall.«
    Es waren nicht nur Männer unter den Masochisten. Eine nackte Frau hing an der Decke, spitze Eisenhaken in ihren Brustwarzen. »Aua!«, sagte Paul zu Leonore, die gleichgültig weiterging. Eine andere Frau lag in einer spektakulären Verrenkung gefesselt auf dem Boden, zu ei- ner Art Ball zusammengerollt, im Mund eine schmutzige Unterhose. »Mein Gott, wer ist das?«
    »Eine Verlegerin auf dem Schuld-Trip.«
    Ein Mann, der an einen Holzpfahl gefesselt war, wurde von zwei an- deren Männern mit langen schwarzen Lederriemen ausgepeitscht. »Noch ein Verleger?«
    »Nein, ein Senator. Die beiden anderen sind Kongressabgeordnete. Später werden sie am Holzpfahl stehen.«
    »Hatten Sie je einen Präsidenten hier unten?«
    »Aus welchem Land?«
    »USA.«
    »Welchen?«
    »Nun, wie wär's mit Bush?«
    »Welchem?«
    Okay, die Frage war beantwortet. »Wie viel kostet dieser Raum?« »Nichts. Ich spendiere Ihnen eine Stunde und prügele Sie windel-

weich.«
    »Davon träumen Sie vielleicht. Ist nicht mein Ding, sowas.« Sie zuckte die Achseln. »Sie wären überrascht, wie angenehm es ist, sich von einem Experten wehtun zu lassen. Das Ego fällt in sich zu- sammen. Das ist es, worum es in diesem Club geht: Das Ego zu ver- nichten. Es geschieht in jedem Raum, aber auf unterschiedliche Weise.«
    »Auch im japanischen Garten?«
    »Klar. Mit der richtigen Droge fühlt man sich dort fast wie im Him- mel.«
    »Droge ist Droge.«
    »Falsch. Unser Dealer ist Mediziner. Er verkauft nicht bloß, sondern er stellt die Drogen selbst her. Er erhält alle körperlichen Daten unse- rer Kunden und weiß genau, was jeden einzelnen zum Ticken bringt. Seine ‘Patienten’ sind so breit, dass sie nach einer Weile sogar ihre Namen vergessen.«
    »Und dann erschlägt einen die Musik.«
    »Bei uns kann man Gott sehr, sehr nahe kommen, Mister. Dieser Ort ist heilig.«
    »Hören Sie, können wir bitte weitergehen?« Dieser Teil des Clubs war nichts für ihn. Er wollte Opium rauchen oder sich wenigstens noch einen Drink hinter die Binde kippen. Jedenfalls musste er raus hier. Dieses Mal fuhren sie in einem Fahrstuhl hoch, der so winzig war, dass sie einander berührten. Sofort geriet sein Blut in Wallung. Als die Türen aufglitten, verstärkte sich diese Reaktion noch, denn er blickte in einen kleinen Ballsaal voller wunderschöner Doppelbetten, auf denen Leute in aller Offenheit miteinander schliefen.
    Ein Gesangsduo, eine aparte, groß gewachsene Frau und ein noch größerer junger Mann, stand beieinander und sang mit so zarten Stim- men, dass sie Engel hätten sein können. Er erkannte »All Through the Night«.
    »O'er thy spirit gently stealing,
    Visions of delight revealing,
    Breathes a pure and holy feeling ...«
    Der Raum strahlte eine weihevolle Festlichkeit aus, die zu der Orgie nicht zu passen schien. Paul war ein kluger Mensch – daher sehr wohl in der Lage zu erkennen, dass der Club mit größter gedanklicher Sorg- falt geplant wurde. In diesem Raum zum Beispiel ging es darum, Se-

xualität von ihrer Sündhaftigkeit zu befreien. Hier gab es keinen Grund mehr, etwas zu verbergen.
    Ab und zu war er in Vientiane oder Phnom Penh mit Freunden in ein Bordell gegangen, und meistens war es in eine Massenorgie ausgear- tet. Es war lustig, aber irgendwie hässlich, und hinterher fühlte man sich schmutzig. Hier hingegen schuf das Fehlen jedweder Schamhaf- tigkeit eine Atmosphäre der Reinheit. Dreißig oder vierzig Menschen stellten gemeinsam alle möglichen intimen Dinge an, taten miteinander alles, was man sich nur vorstellen konnte. Ihre schwitzenden Gesichter glühten vor Lust. Aber alles wirkte freudvoll und unverkrampft. Viel- leicht hatte Leo Recht, vielleicht war dieser Ort tatsächlich heilig. Der Anblick all der ineinander verschlungenen Leiber ließ Paul inten- siv auf Leo starren. Aber vermutlich lag auch sie ein paar Klassen jen- seits seiner Reichweite, ebenso wie alle anderen Clubgäste ... außer die Trottel in der Folterkammer. Das waren Politiker, und dies war eher seine Kragenweite. Aber sich auspeitschen zu lassen konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen. Er hatte auch so schon genügend Schmerzen. Die Messerwunde zum Beispiel, die zwar

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