Whitley Strieber
sich an dich gewöhnen. Ich glaube sogar, dass Sarah ihre Meinung über dich noch ändern wird.«
Beim Frühstück beschränkte Miriam sich auf Champagner, während Paul mehr als ein Dutzend Eier verdrückte. Sarah servierte, und Leo- nore besorgte das Kochen. Sarah sah bezaubernd aus, wenn sie wü- tend war.
Paul rauchte eine weitere Zigarre in der großen Bibliothek. Er ent- deckte Unmengen faszinierender Bücher. Es gab auch einige ver- schlossene Buchschränke mit unbetitelten, altertümlich aussehenden Bänden. Er fand sogar nach Bienenwachs riechende Pergamentrollen. Er zog eine ein Stück heraus, aber sie war uralt, und er wagte nicht, sie aufzurollen, weil er befürchtete, das Pergament zu beschädigen und Miriam einen Millionenschaden einzubrocken.
Es hätte ihn nicht überrascht, in der Bibliothek eine originale Guten- berg-Bibel zu entdecken. Was er stattdessen entdeckte war für ihn je- doch ebenso fesselnd – einen Ordner mit einer Originalsammlung von Opernpartituren. Dies waren nicht einfach frühe Nachdrucke. Es waren die handschriftlichen Originale der alten Meister.
Hier war Rigoletto,offensichtlich in Verdis eigenem hastigem Gekra- kel zu Papier gebracht. Er zog die Partitur andächtig aus dem Regal. Miriam trat so leise von hinten an ihn heran, dass er erschrocken zu- sammenfuhr.
Sie legte eine feingliedrige Hand auf seine Schulter. »Du interes- sierst dich für Opern?«
»Sehr sogar.«
Sie nahm die Partitur und ging in einen anderen prächtigen Raum. Auf dem eleganten Parkettboden lag ein zweifellos echter Persertep- pich. Doch Pauls Aufmerksamkeit galt in erster Linie einem Steinway, einem Konzertflügel, der etwas abseits in einem Alkoven stand. Die Fenster, die ihn einrahmten, schienen aus geschliffenem Tiffany-Glas zu bestehen.
Die Sonne ging auf und warf ihr goldenes Licht auf die schweren Ma- hagonideckel des Flügels. Darauf stand eine Vase, die wahrscheinlich aus dem alten Griechenland stammte. Sarah erschien und stellte fri- sche, vermutlich aus dem Garten hinter den Fenstern stammende Blu- men hinein.
Miriam klappte den Klavierdeckel hoch. Sie klimperte einen Moment lang auf den Tasten herum, dann blätterte sie in der Partitur. »Sarah«, sagte sie, »würdest du bitte?«
Sarah setzte sich an den Flügel. Plötzlich schaute sie zu Paul auf. Sie hob die Hände. »Dies sind Chirurgenhände«, sagte sie.
Worauf spielte sie an?
Ihre Finger flogen zum Aufwärmen einige Tonleitern hinauf und hin- unter.
Miriam legte ihr die Partitur hin, und Sarah begann zu spielen, sehr gut zu spielen. Es dauerte eine Weile, bis Paul ‘Caro Nome’ erkannte, und dann sang Miriam ihm eine der größten jemals komponierten Hommagen an die weibliche Seele vor. Dass sie den Text direkt vom Blatt des Komponisten ablas, machte die Darbietung noch ergreifen- der.
Leo kam herein, sich die Hände an der Schürze abwischend und ei- nige Locken aus den Augen pustend, und hörte zu.
Als die Darbietung endete, wollte Paul Miriam in die Arme nehmen und ihr erneut seine Gefühle beichten. Sie hatten gerade unglaubli- chen Sex gehabt, und er war bis über beide Ohren in sie verliebt. Na- türlich wusste er, dass es dumm klang und dass er es nicht ausspre- chenkonnte. Er kannte sie ja erst seit einigen Stunden, verdammt
nochmal.
Sie warf den Kopf zurück und sang aus voller Brust: »Ich bin verliebt, ich bin verliebt, ich bin in den tollsten Mann der Welt verliebt.« Sie um- kreiste ihn mit tänzelnden Schritten.
Gegen Mittag zeigte sie ihm noch immer ihre Sammlungen, ihre Ly- rikbände – sie besaß unter anderem die Originalmanuskripte von John Keats ‘Lamia’ und Tennysons ‘Tithonus’.
Paul versuchte sich interessiert zu zeigen, aber er war seit mindes- tens einer Minute auf dem Stuhl eingeschlafen, als sie seine Schulter berührte.
»Komm«, flüsterte sie ihm ins Ohr, »lass uns kuscheln.«
Sie gingen nach oben und zogen sich in dem prunkvollen Schlafzim- mer aus. Miriam ließ ihre Kleider achtlos auf den Boden fallen, sodass Leo jedes Stück aufheben musste. Es war ihm unangenehm, es ge- nauso zu machen, daher legte er seine Sachen auf den Rand eines kleinen Tagebetts.
Sarah ließ ihnen ein Bad ein, in einer riesigen Onyx-Wanne, die al- leine schon eine Million Dollar gekostet haben musste. Es war die fan- tastischste Badewanne, die er je gesehen hatte – sie bestand aus wunderschönem, leuchtendem Gestein, auf das kunstvolle Darstellun- gen von goldenen Nymphen und Satyren und allen
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