Whitley Strieber
privaten Bereich hatten. Miri nähte gerne; dabei verwendete sie die kunstvolle Stichtechnik, die ihr ihre Mutter beigebracht hatte, und er- schuf die exquisiten Lederarbeiten der Hüter. Auf dem Fußboden, ne- ben einigen altertümlichen, halb geöffneten Pergamentrollen, lag das Buch der Namen, wegen dem in Paris so viel Blut vergossen worden war.
Sarah warf sich auf die Couch und weinte sich den Schmerz und die Verbitterung über die letzten Stunden von der Seele. Manchmal hasste Sarah ihre Herrin, meistens aber liebte sie sie, ganz besonders, wenn sie litt und sich verletzt fühlte, so wie es im Augenblick der Fall war. Sarah würde diejenige sein, die sie untersuchen und ihr die herzzer- reißende Nachricht überbringen musste. Nach einer Phase grenzenlo- ser Enttäuschung würde Miri sich schließlich beruhigen und – wie im- mer – in Sarahs tröstende Arme flüchten. Sarah würde sich alle Mühe geben, aber wie sollte man einer Frau Trost spenden, die erfahren hatte, dass sie nie wieder würde schwanger werden können? Doch viel schlimmer war, dass Miriam sich und ihre Gefährtinnen in Lebensgefahr brachte. Sie lag drüben allein mit dieser bösartigen Kreatur im Bett – wie konnte sie nur so gedankenlos sein?
Aus dem Schlafzimmer kamen zärtliche Laute, Liebeslaute. Sarah ging zur Tür und nickte Leo zu, die hilflos zitternd am Türrahmen lehnte.
»Sarah, ich fühle mich schrecklich!«
»Ich weiß, Leo.« So sehr sie dieses dumme Mädchen auch verach- tete, im Augenblick konnte sie sich gut in sie hineinversetzen. Sie kannte dieses Leid aus eigener Erfahrung.
»Ich brauche Blut.« Sie sah Sarah verzweifelt an. »Ich habe ver- sucht, etwas von dem Omelett zu essen, dass ich ihm zubereitet habe, aber es war ekelhaft, hat wie feuchtes Papier geschmeckt.« Sie schlang die Arme um Sarah. »Er riecht so gut. Er riecht wie ... wie ...« »Wie Nahrung.«
»Was habe ich mir nur angetan, Sarah?«
Sarah konnte ihr nicht antworten. Es gab keine Worte, um den Unter- gang einer Seele zu beschreiben. Doch sie hielt sie in den Armen und
küsste ihr weiches Haar. »Wir werden dir eine Mahlzeit besorgen. Je- manden wie diese alte Frau. Eine schmackhafte Mahlzeit.«
Leo sah sie aus traurigen, rot geränderten Augen an. »Ich will nie- manden töten.«
»Es war deine Entscheidung.«
»Ich will es nicht!«
Sarah zog eilig die Schlafzimmertür zu. Er brauchte dies nicht zu hö- ren.
»Leo, ich werde dir etwas über den Mann dort drin verraten. Habe bitte keine Angst. Alles wird gut werden. Das hoffe ich jedenfalls.« Sie trat zu dem eleganten Marmortisch unter dem breiten Fenster. Darauf lag Pauls Magnum-Revolver. Der Tisch war ein Geschenk von Tuthmosis IV. gewesen, ‘als Gegenleistung für’, wie Miri es aus- drückte, ‘ein paar sexuelle Extravaganzen, an denen er großen Gefal- len fand.’
»Ich glaube, du wirst sehr überrascht sein, Leo. Der Mann dort drin jagt und tötet Hüter. Er ist ein professioneller Mörder.«
Leos Blick wanderte zu der geschlossenen Tür. »Ich dachte, keiner weiß von den Hütern.«
»Doch, einige Leute schon. Er ist einer von ihnen. Er hat hunderte von Miris Artgenossen auf dem Gewissen.« Sie verriet ihr nicht, wel- ches Gefühl dies in ihr hervorrief – eine Mischung aus Erleichterung und eisigem Entsetzen.
»O, mein Gott. Aber warum ist sie dann mit ihm ...«
»Leo, etwas ist heute Nacht geschehen, das ich noch nicht so recht verstehe. Anscheinend fand sie großen Gefallen an dem Mann. Und nun glaubt sie, aus welchem Grund auch immer, dass sie von ihm schwanger ist.«
»Sie kann doch nur von einem anderen Hüter schwanger werden, oder?«
Sarah nickte. »Es ist eine Fantasie, nichts weiter. Eine tragische Fantasie.«
»Wie kann sie sich so täuschen?«
»Als Hüter-Frau hat Miriam insgesamt nur vier Eizellen in sich. Diese war ihre Letzte.«
»Hat sie Kinder?«
»Nein. Sie hat offenbar ihr letztes Ei verloren und – nun, sie scheint eine Art Zusammenbruch erlitten zu haben.«
»Kannst du ihr nicht irgendetwas geben? Ich meine, du bist doch
Ärztin.«
»Das Einzige, was wir für sie tun können, ist, sie einem Schwanger- schaftstest zu unterziehen. Wenn er negativ ausfällt, kommt sie hof- fentlich wieder zu Sinnen.«
»Und dann kann ich – dann kann ich ...« Sie schlug die Augen nie- der. Ihr Gesicht rötete sich vor Verzweiflung. »Ich hasse das alles!« »Du hast es so gewollt«, sagte Sarah. »Nun füge dich deinem Schicksal.«
»Ich will aber niemanden
Weitere Kostenlose Bücher