Whitley Strieber
samlor- Fahrer verspeisen sollen. Sie schloss die Augen. Die Zeit verstrich, eine Minute, dann noch eine. Sie merkte, dass sie den Geruch ihres Sitznachbarn inhalierte. Er war ein kleines dickes Ding, das vor lauter süßem Blut fast platzte. Köstlich . Das Odeur seiner Haut war so leben- dig. Es schien ein richtiger kleiner Leckerbissen zu sein, der da neben ihr saß. Sie saugte mehr von seinem Duft in sich auf.
Sie begann sich auszumalen, wie sie ihn verführen würde. Sie könnte so tun, als wäre sie eine jener europäischen Huren, die ihrem Geschäft in Asien nachgingen. Sie würden das Flugzeug gemeinsam verlassen, und dann – nun, früher oder später würde der richtige Mo- ment kommen.
Der Mann neben ihr wäre in der Tat ein äußerst delikater und sätti- gender Schmaus. Er hatte ihre Blicke bemerkt und sah sie verstohlen von der Seite an. Sie witterte den würzigen Duft seines Interesses. »Wunderbarer Flug«, sagte sie.
»O ja«, entgegnete er. Sein Englisch war gut, was eine nette Drein- gabe war.
Sie lächelte ihn an, einen Anflug von Durchtriebenheit im Blick. Er rutschte nervös auf seinem Sessel herum; sein Blick wanderte aufgeregt zwischen ihren gefalteten Händen und ihrem Gesicht hin und her. Männliche Opfer hielten diese eigenartige Frau, die sich für sie zu interessieren schien, immer für das schönste und begehrens- werteste Wesen auf Erden. Weibliche Opfer fanden sie ansehnlich und von einnehmendem Wesen. Sie wussten nicht, dass sie von ihren Hü- tern so gezüchtet worden waren, dass sie auf deren Annäherungsver- suche genau in dieser Weise reagieren mussten.
Er schlug ein Bein über das andere, nahm es sogleich wieder herun- ter und sah sich verstohlen um, dann neigte er sich leicht zu ihr hin- über. »Bleiben Sie eine Weile in Bangkok?«
Gut, er war also verfügbar. Sie überlegte. Sie würde ihren Flug nach Paris verpassen – und der Rest der Welt musste unbedingt vor dem gewarnt werden, was hier geschehen war, und zwar umgehend. Aber Herrgott noch mal, sie war so hungrig!
»Vielleicht«, sagte sie leise.
Er grinste verlegen und offenbarte dabei einen schimmernden Gold- zahn. Sie schaute auf seine Hände, sah den goldenen Ehering. Dies bedeutete eine Komplikation – ein verschwundener Ehemann. Er folgte ihrem Blick und zuckte mit den Schultern.
Ihr Magen knurrte.
Der Ton der Triebwerke änderte sich abermals. Sie lauschte dem Klang und befand, dass alles in Ordnung war.
Sie hob die Finger und ließ sie über seinem Handrücken schweben. Ihn nun zu berühren war ein ritueller Akt der Besitzbenennung, mit dem die Hüter seit unendlichen Zeiten ihr nächstes Opfer kennzeich- neten.
Sie ließ ihre eisigen Fingerspitzen herabsinken, bis sie seine Haut berührten. »Ich verbringe ein paar Tage in Bangkok.« Sie lachte. »Im Royal Orchid«, fügte sie hinzu, sich entfernt an den Namen des Hotels erinnernd. Sie wusste nur, dass es ein erstklassiges Etablissement war.
»Was für ein Zufall. Ich wohne auch im Royal Orchid, Miss.« Er lä- chelte von einem Ohr zum anderen.
Sie hoffte, dass es ein freies Zimmer gab. Sie hatte keine Reservie- rung. Er zweifellos auch nicht.
Augenblicke später setzte das Flugzeug auf der Landebahn auf und raste über den an vielen Stellen ausgebesserten Asphalt. Es bremste trotz Miriams schlimmsten Befürchtungen gleichmäßig ab und wurde immer langsamer. Dennoch blieb sie angespannt, wollte, dass das ver- dammte Ding endlich die Landebahn verließ. Aber es rollte immer wei- ter. Hatten die Piloten die Ausfahrt verpasst? Hatte die Bodenkontrolle irgendeinen blöden Fehler gemacht?
Sie stellte sich vor, wie eine 747 auf ihren Airbus krachte. Vor einigen Jahren waren bei einem schrecklichen Landebahn-Unglück auf den Kanarischen Inseln zwei Hüter getötet worden. Doch die Triebwerke heulten ein letztes Mal kurz auf, und die Maschine fuhr noch ein Stück weiter, dann verließ sie die Landebahn, rollte zum Haupt-Terminal und kam dort zum Stehen. Das Sicherheitsgurt-Zeichen erlosch. Miriams Konzentration galt augenblicklich wieder ihrem Opfer. Sie musste es nun ein wenig unbeachtet lassen, die Kokette spielen, als abendländische Frau eine gewisse Geringschätzung gegenüber asiati- schen Männern ausstrahlen.
Als sie sich im Gang aufreihten, um das Flugzeug zu verlassen, stand sie unmittelbar hinter ihm und registrierte von Moment zu Mo- ment die subtilen Veränderungen seines Verhaltens. Aus seinem Schritt stieg ein muffiger Geruch auf, von
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