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Whitley Strieber

Whitley Strieber

Titel: Whitley Strieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Kuss des Vampirs
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weit entfernten Tunnel glitt.
    Als ihr sein herber, maskuliner Geruch in die Nase stieg, fuhr ein wohliger Schauer durch ihren Körper. Er stand kerzengerade da. Seine völlige Reglosigkeit ließ ihn äußerst würdevoll erscheinen. Sie murmelte leise auf Prime: »Ich, Miriam, Tochter von Lamia, grüße Euch.« Auf seinem Rücken zeigte sich keine Regung. Dann wandte er sich ganz plötzlich zu ihr um.
    Er sah sie an, hinter ihm das stärker und schwächer werdende Glü- hen. »Ich, Uriel, Sohn von Enoch und heute Henri genannt, grüße Euch.« Er nickte ihr zu.
    Sie verbeugte sich bis zur Hüfte, wie es die Etikette von einem Hüter verlangte, der von außerhalb die Heimstatt eines Artgenossen betrat. Er kam zu ihr, legte seine langen Finger unter ihr Kinn und hob ihr Ge- sicht.
    »Ich bin gekommen, um der Zusammenkunft der europäischen Hüter beizuwohnen«, sagte sie, noch immer im gemessenen, fomellen Ton- fall des altertümlichen Prime.
    Er wechselte ins Französische. »Möchtest du ein Kind, Miriam? Oder einen Gatten?«
    »Beides«, antwortete sie.
    Er lächelte. »Ich nehme an, du lebst noch immer in diesem Haus, mit deinen wundervollen kleinen Haustieren, oder?«
    Er klang nicht allzu missbilligend. Durfte sie sich Hoffnungen ma- chen? »Ja«, sagte sie vorsichtig. Sie schlug die Augen nieder, wie die Etikette es verlangte.
    »Wie kannst du bloß ihren Gestank ertragen?« Sein plötzlich verän- derter Tonfall war wie eine Ohrfeige. Er verachtete sie genauso sehr, wie die anderen es taten.
    Sie versuchte, ihre Enttäuschung zu verbergen. Doch sie hob den Blick. Warum sollte sie einem Mann Respekt zollen, der sie verach- tete? »Was ist dieses Glühen?«, fragte sie. Es wurde stetig heller, in einem Maß, dass sie die Tunnelwände und sogar Henris schmales, ernstes Gesicht erkennen konnte.
    »Das ist trivial.«
    Sie schrieb ihre Manieren in den Wind und sah ihn offen an. Martin Soule hatte sich in einem so erbärmlichen Zustand befunden, dass er nicht die geringste Anziehungskraft ausgestrahlt hatte. Henri war das genaue Gegenteil. Zwar war auch er schmutzig und schlecht gekleidet, aber sein Körper wirkte prachtvoll. Sie konnte seine Kraft spüren, und

der Gedanke, in seinen Armen zu liegen, ließ sie alles andere als kalt. Das Glühen war ihm offenbar gleichgültig. »Es wird heller.«
    Er sah sie an wie ein Juwelier, der einen kostbaren Edelstein mus- terte. »Es stimmt also wirklich«, sagte er.
    »Was stimmt?«
    »Dass deine Schönheit auf dieser Welt unübertroffen ist.« Er hob die Hand und berührte zärtlich ihre Wange. Als seine Fingerspitzen an den Rändern ihrer Lippen entlangstrichen, schmeckte sie das Salz auf sei- ner Haut. Begehren flammte in ihr auf. Sie stellte sich vor, wie sie hilf- los unter ihm lag, während er wie ein entflammter Löwe in sie ein- drang. Sie würde ihn in sich aufnehmen, einer offenen Blüte, einer of- fenen Wunde gleich. Sie würde seine Sklavin sein, vor ihm niederknien und ihm jeden Wunsch erfüllen. Sie würde sich besitzen lassen – und im Gegenzug würde sie ihn besitzen.
    Das Glühen breitete sich aus, und nun vernahm sie die gleichmäßi- gen Schritte von – sie hörte genauer hin – von zwölf Füßen. Es klang wie die Schritte von Menschen. »Dieses Glühen – das sind Menschen, nicht wahr?«
    »Es ist nichts. Achte einfach nicht darauf.«
    »Sind es Menschen?«
    Er starrte sie an. »Du bist ein richtig freches Ding, so wie alle sa- gen.«
    »Menschen sind gefährlich.«
    »Sei nicht absurd.«
    »Du kanntest doch Martin Soule.«
    Er nickte. »Er hat es vorgezogen, in dem Haus zu leben, das deine Mutter törichterweise bauen ließ.«
    »Er ist dort gestorben.«
    »Gestorben?«, fragte er ungläubig. »Warum hätte er das tun sol- len?«
    »Sie haben ihn verbrannt! Und sie haben vor, uns alle zu verbren- nen!«
    »Ich erinnere mich, welch trauriges Los deiner Mutter beschieden war. Aber das sollte dich nicht –«
    Wie Geisteraugen tauchten am Ende des Tunnels plötzlich Lichter auf, sechs an der Zahl, alle in ihre Richtung strahlend. Henri war in einen purpurnen Lichtkegel gehüllt. Er wandte sich um und blickte in Richtung der Menschen, ein leichtes Lächeln auf den Lippen. »Stehen bleiben«, sagte er in modernem, fließendem Französisch, »ihr habt

hier nichts verloren.«
    Paul stieß zischend den Atem aus, als er es sah. Er hatte noch nie ein so großes, so kräftig aussehendes Exemplar zu Gesicht bekommen. In Asien waren sie deutlich kleiner gewesen

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