Whitley Strieber
sagte sie, »wir müssen ihnen die Köpfe wegblasen. Nur für den Fall, dass wir nicht zurückkommen und die Säurebehandlung ausfallen lassen müssen.« Becky und Bocage gingen zu den Vampiren hinüber und schossen einem nach dem anderen aus kürzester Distanz den Kopf vom Hals. Währenddessen fragte sich Paul, wie es wohl wäre, mit einer Frau zu- sammen zu sein, die zu so etwas fähig war.
Das Messer in seiner Schulter bereitete ihm immer größere Schmer- zen. Eine Wunde, die, wie bei ihm, bis tief in den Knochen reichte, war
besonders qualvoll. Andererseits wusste er, dass er gutes Heilfleisch hatte. Trotzdem würde die Genesung eine Weile dauern. Im Augen- blick jedenfalls gab es nur den Schmerz und die Gefahr einer Infektion. »Wir müssen los«, sagte er.
Die kleine Gruppe begann den mühseligen Aufstieg, ein jeder darum bemüht, sein Leid für sich zu behalten.
Trotz der fürchterlichen Schmerzwellen, die bei jedem Schritt durch seinen Körper brandeten, hätte Paul vor Freude am liebsten laut ge- lacht. Die Königin der Vampire, die Reisende, oder was immer sie ge- wesen sein mochte – irgendwo auf dem bluttriefenden Leichenberg la- gen ihre zerfetzten Überreste. Nie wieder würde dieses parfümierte Miststück die Straßen unsicher machen.
In Anbetracht dessen, was hier geschehen war und was die Deut- schen unternahmen, war Europa wohl ein für alle Mal befreit von die- ser Pest. Und mit Hilfe des Buches, das er unter dem Arm trug, wür- den bald auch die beiden amerikanischen Kontinente von dieser Plage befreit sein – wenn sie sich beeilten.
Irgendwann begann er so stark zu husten und so quälende Schmer- zen zu bekommen, dass Becky ihn stützen musste. »Mir sickert Blut in die Lunge«, sagte er, als sie ihm in den Wagen half.
Auf dem Weg ins Krankenhaus hielt sie ihn die ganze Zeit in den Ar- men, um so weit wie möglich die Stöße der zahllosen Schlaglöcher ab- zudämpfen. Es tat trotzdem höllisch weh. Aber eigentlich kümmerte es ihn kaum. Es gab Schlimmeres, als in Beckys Armen zu liegen.
11
Königin der Nacht
In den Stunden, seit sie das erste Mal in Miriam Blaylocks gehetzte Augen geblickt hatte, war Sarah Roberts' Angst stetig gewachsen. Sie hielt Miriams Hand; Miriams Kopf lag auf der Schulter ihrer menschli- chen Gefährtin.
Sarah hatte sie noch nie so gesehen, und bisher hatte sie nicht er- fahren, was geschehen war.
Sie saßen, unfassbarerweise, in einer Concorde, einem Flugzeug, das Miriam nie wieder hatte besteigen wollen. Das pulsierende Dröh- nen der vier nahe am Rumpf in die Flügel eingebauten Triebwerke ließ den Kabinenboden erzittern. In den ersten zehn Minuten des Fluges roch es in der Kabine nach Kerosin. Sie waren jahrelang mit Maschi- nen dieses Bautyps geflogen und hatten geglaubt, dass sie völlig si- cher seien. Dann war es zu einem schrecklichen Absturz gekommen, und in den folgenden Wochen hatte Miriam sich mit den morbidesten Gedanken geplagt. Sie hatte sich das Unglück bis ins letzte Detail aus- gemalt, hatte sich vorgestellt, sie hätte in der Maschine gesessen, aus dem Fenster geschaut und plötzlich die aus den Triebwerken lodern- den Flammen gesehen, die Explosion gehört und gespürt, wie sie durchgeschüttelt wurden und wie ein Stein vom Himmel fielen. Für Menschen war ein Flugzeugabsturz ein schneller Tod. Miriam dagegen hätte bei vollem Bewusstsein miterlebt, wie sie Zentimeter um Zentimeter von den Flammen verzehrt wurde.
Sie hatte sich von Sarah alle Berichte über die neuen Sicherheitsvor- kehrungen besorgen lassen. Aber trotz aller unternommenen Maßnah- men hatte sie nach wie vor Angst, mit der Concorde zu fliegen. Doch sie hatte darauf bestanden.
Sarah überlegte, ob die anderen Hüter Miriam womöglich angegriffen hatten. Wenn ja, so wäre dies eine brauchbare Anekdote für das Vam- pir-Buch, an dem sie in den zwanzig Jahren ihrer Gefangenschaft ins- geheim arbeitete.
Sarah spürte, dass Miriam wach war. Sie war immer wach, es sei denn, sie hatte gespeist oder große Mengen Opium geraucht. Miriams Hand war weich und kühl. Sarah hob sie an ihre Lippen, genoss die Schwere, genoss den Geschmack und die Zartheit der Haut. Sie sog
den lieblichen Duft ihrer Herrin auf. Miriam seufzte und legte ihren Mund an Sarahs Hals, knabberte an ihm, bis es fast wehtat. Sarah schloss die Augen, dem Brüllen der Triebwerke lauschend, und spürte neben sich die prachtvolle Seele, die sie so liebte und ver- ehrte ... und spürte gleichzeitig das Böse,
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