Whitley Strieber
her, Kind.«
War eines ihrer Kinder in der Nähe? Er wich zurück, suchte Schutz in der Dunkelheit. Ein unmögliches Unterfangen.
»Dein Ende ist gekommen, Kind.«
Er hätte sich die letzte Kugel im Magazin in den Kopf gejagt, aber da war noch das Buch. Er musste es zerstören und sich eben totsaugen lassen.
Derjenige, der gesprochen hatte, kam näher; er hörte es. War dies das Über-Monster, die Königin? War dies ihre Höhle? Nein, die Stimme gehörte ohne Zweifel einem männlichen Exemplar.
Er hatte das Spiel verloren. Er zog das Buch aus der Hose und hielt es vor den Lauf.
Doch als er abdrücken wollte, flammte plötzlich helles Licht auf. Er sah eine Gruppe von Vampiren, die ihn mit ihren ernsten, seltsam lee- ren Augen anstarrten. Er sah, dass einige zerschlissene Gehröcke und wallende Kleider aus vergangenen Zeiten trugen, andere modische Jeans und Touristen-Shorts. Ihre Gesichter waren hasserfüllt, und es waren unverkennbar nicht-menschliche Gesichter. Hier unten schien es nicht nötig zu sein, sich mit Make-up aufwendig zurecht zu schmin- ken. Ihre Lippen waren schmal, die Augen lagen tief in den Höhlen. Alle hatten denselben hasserfüllten Gesichtsausdruck.
Plötzlich war Becky neben ihm und feuerte wild um sich. Er schoss ebenfalls; es war seine letzte Kugel.
Als er in seinen Rucksack greifen wollte, um ein volles Magazin her- auszuholen, flammte in seiner linken Körperhälfte ein greller Schmerz auf. Der Arm, mit dem er das Buch hielt, wurde schlaff, und das Buch fiel auf den Boden. Er sah warum – ein Messergriff ragte aus seiner Schulter.
Die Vampire schossen ebenfalls. Einige hatten Revolver – eine wei- tere Überraschung für Paul. Hinter sich hörte er einen Aufschrei und sah, dass Des Roches sich krümmte. Er und Bocage waren hinter Becky aufgetaucht.
Auf beiden Seiten wurde geschossen. Becky trat vor ihn, um ihm mit ihrem Körper Feuerschutz zu geben. »Duck dich«, zischte sie, wäh- rend sie ein ums andere Mal feuerte.
Dann trat Stille ein. »Du bist verletzt«, stellte sie mit bebender, zärt- lich klingender Stimme fest.
Dies war der Tonfall einer Liebenden, und Paul war erstaunt, wie sehr ihn dies berührte. »Ich werd's überleben.«
Ihre zitternde Hand strich um den aus seiner Schulter ragenden Mes- sergriff. »O Paul, mein Gott.« Sie küsste ihn auf die Wange und hätte ihn dabei fast umgestoßen. Doch ihre Geste erfüllte ihn, trotz des neu aufflammenden Schmerzes, mit tiefer Zufriedenheit. In ihren Augen konnte er ihre zärtliche Besorgnis ablesen. Und er musste zugeben, dass es sich verdammt gut anfühlte, wenn sich jemand um ihn sorgte. Der Lichtstrahl von Bocages Taschenlampe wanderte durch den rauchverhangenen Tunnel und traf etwa zwanzig Meter entfernt auf einen an der Wand liegenden Haufen zerfetzter Vampir-Leiber, alles in allem etwa ein halbes Dutzend. »Gut«, murmelte Bocage. Dann
wandte er sich zu seinem Kollegen um. Des Roches war aschfahl, sein Gesicht zur Maske erstarrt. Er litt schlimme Schmerzen und versuchte sie zu unterdrücken. Paul ging es genauso.
Die Frage war nicht, ob sie hoch gehen, ihre Wunden lecken und wieder herunterkommen sollten, um das Notwendige zu tun, nämlich diese Kreaturen mit ätzender Säure in ihre Bestandteile aufzulösen, sondern ob sie überhaupt imstande waren, den weiten Weg nach oben zu bewältigen.
»Bocage, sind wir alle verwundet?«
Der Colonel zuckte die Achseln. »Ich ja, aber ich werd's überste- hen.« Sein rechtes Bein war blutüberströmt.
»Becky?«
»Mir geht's gut.«
»Wir müssen verschwinden«, sagte Bocage. »Des Roches hat einen schweren Schock erlitten.«
Becky richtete ihren Lichtstrahl auf den Berg zerfetzter Vampire. »Acht Stück«, sagte sie. »Das macht alles in allem siebzehn bei die- sem Einsatz.«
»Wir haben eine ganze Versammlung ausgelöscht«, sagte Paul. »Vielleicht die Hälfte aller Vampire in Europa.«
»Die Deutschen tun dasselbe in Berlin«, sagte Bocage.
»Die Deutschen! Werden wir Amerikaner über gar nichts mehr unter- richtet?«, fragte Paul.
»Ihr habt doch euer Echelon«, erwiderte Bocage. »Ich dachte, der amerikanische Geheimdienst wüsste sowieso alles.«
»Offenbar nicht.«
Bocage lächelte milde. »Ganz recht.«
Paul begann die eisige Kälte zu spüren, die sich in einem ausbrei- tete, wenn man einen Schock erlitten hatte. Er nahm tiefe Atemzüge, um seine Körpertemperatur einigermaßen konstant zu halten. Beckys Blick wanderte zu den Vampiren. »Bocage«,
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