Wicked - Die Hexen von Oz
Elphaba.
»Dann lass uns von Liir sprechen. Was zum Donnerwetter soll das heiÃen, dass du so eine schlichte Frage nicht beantworten kannst? Entweder du hast ihn empfangen und geboren oder nicht. Meines Wissens gibt es auf dieser Welt keine andere Möglichkeit.«
»Ich meine damit Folgendes«, erwiderte Elphaba, »und mehr werde ich zu dem Thema nicht sagen: Als ich ins Kloster ging und der guten Mutter Schackel unterstellt wurde, war ich nicht in der Verfassung zu merken, was mit mir geschah, und ich verbrachte ungefähr ein Jahr in einem todesähnlichen Schlaf. Es könnte durchaus sein,dass ich schwanger war und ein Kind zur Welt brachte. Ich habe noch einmal ein ganzes Jahr gebraucht, um zu genesen. Als ich dann Pflichten zugewiesen bekam, habe ich mit den Kranken und Sterbenden gearbeitet, auch mit ausgesetzten Kindern. Ich hatte mit Liir nicht mehr zu tun als mit mehreren Dutzend anderen Gören. Als ich das Kloster verlieà und hierherkam, war die Bedingung, dass ich Liir mitnehme. Ich habe das nicht hinterfragt â man hinterfragt die Anweisungen der Klosteroberen nicht. Ich habe gegenüber dem Jungen keine mütterlichen Empfindungen« â sie schluckte: stimmte das überhaupt noch? â, »und ich habe nicht das Gefühl, je die Erfahrung einer Geburt gemacht zu haben. Im Grunde glaube ich nicht, dass ich dazu fähig bin, aber ich gebe gern zu, dass das schlicht Ignoranz und Blindheit meinerseits sein kann. Doch das ist alles, was sich darüber sagen lässt. Ich werde kein Wort mehr darüber verlieren, und du auch nicht.«
»Fühlst du die Pflicht, dich ihm gegenüber mütterlich zu verhalten, trotz seiner ungeklärten Herkunft?«
»Die Pflichten, die ich fühle, erlege ich mir selbst auf, andere gibt es nicht.«
»Du bist zu bissig, diese Situation macht dich unglücklich. Aber wenn du denkst, dass ich hergekommen bin, um auch noch die nächste Generation von Thropps groÃzuziehen, dann hast du dich geirrt. Das Ãmmchen ist jetzt alt und schwach und lässt sich nicht mehr einspannen.«
Doch Elphaba entging nicht, dass Ãmmchen in den folgenden Wochen anfing, sich liebevoller um Liir zu kümmern als um Nor und Irji. Es beschämte sie, denn sie sah auch, wie gern sich Liir Ãmmchens Fürsorge gefallen lieÃ.
Während Ãmmchen von Krotts Draufgängertum erzählte â so animiert, dass man das heftige Schlagen ihres alten Herzens förmlich zu sehen meinte â, kam sie auch auf die Untaten des Zauberers zu sprechen. Elphaba ärgerte sich, denn sie hatte gehofft, das Interesse an solchen bösen Machenschaften verloren zu haben.
Ãmmchen schwadronierte unverdrossen über ein neues Jugendlager, das der Zauberer organisiert hatte, euphemistisch »Des Kaisers Garten« genannt. Alle Munchkinkinder von vier bis zehn mussten im Sommer dort einen Monat zubringen. Die Kinder mussten Geheimhaltung geloben â für sie bestimmt ein tolles Spiel. Ãmmchen erzählte eine weitschweifige Geschichte, eher für zahnlose Alte in einer Kaminecke geeignet als für eine Runde verkniffener, männerloser Arjikifrauen, darüber, wie Krott sich einmal als Kartoffellieferant verkleidet hatte. Und auf die Art zum Tor hineinkam. Oho, was für viele vergnügliche Abenteuer so ein Schwerenöter erlebte! Die bildschöne Tochter des Lagerleiters, Krotts erfinderische Ausflüchte, seine Liebschaften, seine aufregenden Fluchten! Um ein Haar bei seinen Techtelmechteln entdeckt â von Kindern! Was für ein SpaÃ! Trotz ihres wichtigen Getues war und blieb Ãmmchen im Herzen eine geschwätzige alte Bäuerin. Elphaba dachte: Sie begreift gar nicht, dass sie von Indoktrination, Verrat, militärischer Zwangsausbildung von Kindern redet. Mit ihrem neuentwickelten Sinn für Liirs bescheidene Präsenz am Rand ihres Lebens fand Elphaba diese Geschichten von manipulierten Kindern grässlich und abstoÃend.
Sie nahm sich das Grimorium vor und schlug den wuchtigen Buchdeckel auf â Leder mit goldenen SchlieÃen und mit Blattsilber gepunzt â und durchstöberte den Wälzer nach einem Aufschluss darüber, was Menschen bewegt, nach solcher Herrschaft und Macht zu dürsten. War das einfach die innere Verworfenheit, das Tier im Menschen?
Sie suchte nach einem Mittel zum Sturz eines Regimes. Sie fand viele Weisen, Einfluss zu nehmen und
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