Wicked - Die Hexen von Oz
was kalter Zorn sein mochte und ob er geschlechtsspezifisch war und welchen sie empfand, falls überhaupt einen. Sie dachte über ihre jung verstorbene Mutter nach und über ihren Vater mit seinen Obsessionen. Sie dachte über den Zorn nach, den Doktor Dillamond gehabt hatte â einen Zorn, der ihn zum Studieren und Forschen getrieben hatte. Sie dachte über den Zorn nach, den Madame Akaber kaum verhehlen konnte, als sie versucht hatte, die Studentinnen zum geheimen Dienst für die Regierung zu verlocken.
Sie dachte am nächsten Morgen darüber nach, als sie dasaà und zusah, wie die langsam erstarkende Sonne auf die dick verschneiten Dachschrägen unter ihr einbrannte. Sie beobachtete, wie die Sonne einen Eiszapfen verflüssigte. Warm und Kalt zusammen formten einen Eiszapfen. Warm und Kalt zusammen formten einen Zorn, einen Zorn, der bestens zur Waffe gegen die alten Dinge taugte, die noch bekämpft werden mussten.
Es war natürlich nicht zu beweisen, doch in gewisser Weise hatte sie sich stets zum heiÃen Zorn ebenso fähig gefühlt wie ein Mann. Aber um Erfolg zu haben, musste man über beide Arten verfügen â¦
Liir überlebte, Manek nicht. Der Eiszapfen, auf den Elphaba ihren Blick gerichtet hatte, während sie über die Waffen nachdachte, die man zum Kampf gegen eine solche Missetat brauchte â er löste sich wie ein Speer von der Traufe, zischte nach unten und erwischte ihn am Kopf, als er gerade hinausging, um sich eine neue Möglichkeit zu überlegen, wie er Liir quälen konnte.
Aufruhr
1
»Sie nennen dich hier eine Hexe, wusstest du das?«, sagte Ãmmchen. »Warum um Himmels willen tun sie das?«
»Aus Albernheit und Dummheit«, antwortete Elphaba. »Als ich hier ankam, war mir mein Name fremd geworden nach den Jahren im Kloster, wo ich Schwester Aelphaba gerufen wurde. Elphaba klang wie ein Name von jemand aus grauer Vorzeit. Ich bat sie, mich Tante zu nennen, auch wenn ich mich nie wie eine Tante gefühlt habe. Woher auch? Ich hatte keine Tanten oder Onkel.«
»Hmmm«, sagte Ãmmchen. »Ich glaube nicht, dass du als Hexe viel hermachst. Deine Mutter, Lurlina hab sie selig, wäre schockiert. Dein Vater auch.«
Sie gingen im Apfelgarten spazieren. Ein Blütenmeer würzte die Luft mit seinem Duft. Die Bienen der Hexe waren ausgeschwärmt und summten durch die Gegend. Mordefroh saà schwanzwedelnd im Schatten von Maneks Grabstein nahe der Burgmauer. Die Krähen flogen am Himmel um die Wette und vertrieben alle anderen Vögel auÃer den Adlern. Irji und Nor und auf Ãmmchens Drängen auch Liir waren in die Schulklasse des Dorfes aufgenommen worden. In Kiamo Ko herrschte bis zum Mittag selige Stille.
Ãmmchen war siebenundachtzig. Sie ging am Stock. Sie hatte ihre kleinen Verschönerungsbemühungen nicht aufgegeben, doch mittlerweile trugen sie weniger zu ihrer Würde als zu ihrer Verunstaltung bei. Ihr Puder war zu dick aufgetragen, ihr Lippenstift verrutscht und verschmiert, und das feine Spitzentuch war gegen den Aufwind aus dem Tal nutzlos. Ãmmchen ihrerseits fand, dass Elphaba schlechtaussah, so als würde sie innerlich verschimmeln. Blass. Irgendwie verwahrlost. Elphaba pflegte offenbar ihre schönen Haare in keiner Weise, sondern versteckte sie hochgeknotet unter diesem lächerlichen Hut. Und das schwarze Kleid musste dringend gewaschen und ausgelüftet werden.
Sie blieben an einer windschiefen Mauer stehen und lehnten sich dagegen. Die Schwestern pflückten ein paar Felder weiter Blumen, und Sarima leistete ihnen Gesellschaft. In ihrem schwarzen Trauerkleid ähnelte sie einem groÃen düsteren Luftballon, der sich losgerissen hatte und dicht über dem Boden dahintrieb. Es war gut, sie wieder lachen zu hören, wenn auch falsch. Licht hatte diese eigenartige heilende Wirkung auf jedermann, selbst auf Elphaba.
Ãmmchen hatte Elphaba von ihrer Familie berichtet. Eminenz Thropp war endlich gestorben. Da Elphaba verschwunden war und für tot gehalten wurde, war die Eminenzwürde an Nessarose gefallen. Jetzt herrschte also die jüngere Schwester in Kolkengrund und gab dogmatische Erklärungen über Glauben und Schuld ab. Frex, dessen Laufbahn als Geistlicher sich dem Ende zuneigte, war bei ihr. Je mehr der missionarische Eifer nachlieÃ, umso ausgeglichener wurde er innerlich. Krott? Der kam und ging. Den Gerüchten nach betätigte
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