Wickelkontakt - Roman
auch an Kerzen nicht gespart hatte, wollte keine richtig schöne Stimmung aufkommen. Rike faselte nämlich die ganze Zeit von sich selbst und ließ niemand anderen drankommen. Sie redete ununterbrochen von ihrer Therapie, dem Typen, den sie liebte, der sie aber nicht liebte, ihrer Wohnung, dann wieder von ihrer Therapie und dem Typen. Derweil hatte ich, angeschwipst wie ich nach einer Flasche Weißwein schon war, etwas Zeit, meinen Gedanken nachzuhängen und von meiner Radiokarriere zu träumen.
Ich als berühmte Radiomoderatorin, das wäre schon toll. Wenn nur das frühe Aufstehen nicht immer wäre! Das machte meinen Träumen, realistisch betrachtet, nämlich einen ganz schönen Strich durch die Rechnung. Aber ich wäre statt mit der Morningshow, die von allen Sendungen am meisten gehört wird, auch mit einer Nachmittagssendung zufrieden, das wäre sogar perfekt. Ich liebte es zu moderieren. Seit ich vor einem halben Jahr das erste Mal eine Abendsendung hatte moderieren dürfen, war ich dermaßen scharf darauf zu senden, dass es schon fast peinlich war. Niemals hatte ich mich für irgendwas anderes so begeistert. Ich war einfach völlig verliebt in meinen Job. Obwohl ich unter der Woche tagsüber als Reporterin oder Nachrichtenassistentin eingesetzt wurde und auch oft Frühschichten schob, verbrachte ich danach auch noch freiwillig die Nachmittage im Sender, half aus, indem ich noch ein paar Straßenumfragen machte, und wartete auf die Abendstunden, ich denen ich alleine im Back-Up-Studio Moderieren üben konnte. Ich konnte nicht mal sagen, warum ich das alles machte. Ich saß im Studio und dachte, hier gehöre ich hin. Alles andere wurde unwichtig. Ich mochte die Musik, ich mochte es, die Blenden zu fahren, diese auch noch mit Jingles zu versehen, und die Lieder so einzukürzen, dass eine Sendestunde immer genau um Punkt voll beendet war, und nicht erst fünf Minuten danach– das war so ungefähr das Schwierigste. Das Sprechen mit den Hörern bei Spielen, und dann die Freude des Gewinners, oder einfach Anrufer live entgegenzunehmen, die einen Blitzer meldeten und einem ansonsten einen schönen Tag wünschten, das machte mich total glücklich.
Um über all meinen Karriereplänen und Rikes Gefasel nicht einzuschlafen, goss ich mir regelmäßig Wein nach und warf mir mit Mona verschwörerische Blicke zu. Wir verstanden uns auch ohne Worte, prosteten uns zu und lachten. Rike guckte etwas irritiert, redete dann aber weiter. Erstaunlich, dass sie auch gar nicht auf eine Reaktion von uns wartete.
Mona ist seit der elften Klasse meine beste Freundin. Wir hatten uns ganz unspektakulär im Französischkurs kennengelernt, weil wir dort nebeneinandersaßen. Um mit ihr ins Gespräch zu kommen, hatte ich ihr als Erstes meinen neuen Bodyshop-Lipgloss gezeigt, Golden Apple, und weil sie zufällig den gleichen hatte, waren wir uns auf Anhieb so sympathisch, dass wir von nun an versuchten, in allen Kursen nebeneinanderzusitzen. Das wiederum hatte zur Folge, dass wir beide zwei Jahre später ein grauenhaft schlechtes Abi machten, weil wir während der Kurse, die wir gemeinsam hatten, Tee tranken, Kreuzworträtsel lösten, uns gegenseitig unsere neuesten Schminksachen zeigten und natürlich auch ausprobierten. Die Lehrer gewöhnten sich langsam ab, uns aufzurufen, und trugen uns vier Punkte, eine Vier minus, für Anwesenheit ein.
Ich hatte mein Lipglossdöschen, obwohl es längst alle war, immer noch, es war mein » Mona-Kennenlern-Glückslipgloss«, und ich saugte noch gerne ab und zu den Duft ein, der mich immer an unsere Anfangszeit erinnerte.
Mona war inzwischen achtundzwanzig, so wie ich, hatte sich nach ihrem Abi, so wie ich, in der Uni eingeschrieben, und klar, so wie ich, nebenbei Praktika bei verschiedenen Radiosendern in Norddeutschland gemacht. Dabei liefen wir uns immer wieder zufällig auf Pressekonferenzen über den Weg, schlossen vorne bei den Rednern unsere Aufnahmegeräte an und setzten uns nebeneinander. Dann erzählten wir uns leise, während bei Blohm + Voss die Jahresbilanz verlesen wurde, was alles in letzter Zeit so passiert war, und hörten uns die PK hinterher im Sender auf Kassette an.
Monas Leidenschaft ging dabei in eine andere Richtung als meine. Während ich mich als redaktionelle Praktikantin ganz gut schlug, schnell brauchbare Töne ablieferte und schon bald als Live-Reporterin zu richtig coolen Unfällen geschickt wurde, interessierte sich Mona eher für die Musikszene. Sie schmiss ihr Studium
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