Wider die Unendlichkeit
helle, diesige Dämmerung, als die Sonne über der fernen Hügelkette aufging und lange, blaue Schatten auf die Ebene unterhalb der Hütte warf. Er legte zwanzig Kilometer zurück, ohne die Karte auf der Gesichtsplatte zu Rate ziehen zu müssen, um einen Weg durch die ausgewaschenen Täler und frischen Schluchten des ständig arbeitenden Landes zu finden. Er ließ die Antennen in einem Loch zurück, einer dunklen Vertiefung auf einem ansonsten unbefleckten blauweißen Tafelland. Als er mit stetigen Bewegungen weiterhüpfte, fühlte er sich freier; seine langen Parabelbögen erlaubten ihm eine gute Übersicht über das Gelände, und ohne die langen Gewehrantennen kam er schneller voran. Er bewegte sich in zügigem Tempo, aber ganz ruhig, und landete stets in einiger Entfernung von Felssteinen, die sich unter dem Aufprall drehen und einen Steinrutsch auslösen konnten. Er überraschte Herden von Rollern und Gruppen der trägen Felskauer, suchte die Muties heraus, während er über die verwirrt flüchtenden Tiere hinwegflog, zielte und feuerte mit inzwischen routinierten Bewegungen, beinahe beiläufig. In Sidon hatte er sich einmal über die ethische Seite des Tötens Gedanken gemacht, vor allem in Anbetracht des deutlichen Hangs zum Vegetariertum bei vielen Menschen (einschließlich seiner Mutter, die immer, wenn er echtes Fleisch aß, die Nase rümpfte und sich einen Kommentar auffällig verkniff). Er hatte sich schließlich mit der Einsicht beruhigt, daß diese Geschöpfe künstliche Erfindungen und nicht ähnlich wie der Mensch aus dem Nährboden einer Welt hervorgebracht waren und ähnlich alte Vorfahren hatten, sondern neu – und manchmal schlecht – in einem Reagenzglas hergestellt worden waren, technische Wunder, vergleichbar mit Gehern oder Fährschiffen, die eine Weile gut funktionierten und dann zusammenbrachen, so jedenfalls beurteilte der Junge Mutationen.
Das Zurücklassen der Antennen war ein Akt der Unterwerfung unter die Leere dieser Welt und unter das, was sie selbst herzugeben hatte. Er ging vorwärts, seine Furcht mit sich tragend – denn sein Vater hatte Unrecht, und seine Mutter auch. Jetzt empfand er Furcht als eine Erscheinung, die ertragen werden mußte, und damit hatte er das wesentliche Stadium der Kindheit hinter sich gelassen. Doch er war ohne wirkliche Hoffnung.
Drei Tage zog er auf diese Weise hinaus. Jeder Tag war wie der andere, und er fiel in einen Rhythmus des Suchens und der Jagd auf Muties, wenn er sie sah, ohne sie mit gezieltem Einsatz seiner Fähigkeiten auszulesen. Am Mittag des dritten Tages war er weiter vom Lager entfernt denn je. Für die ersten fünfzig Klicks hatte er ein Dreirad genommen, zum einen, weil das Gebiet von Muties ziemlich gesäubert war, zum andern, weil er möglichst wenig Gelegenheit haben wollte, anderen Gruppen zu begegnen. Er wußte, das Aleph bevorzugte keine besondere Stelle zum Auftauchen, aber irgendwie spürte er, daß frisches Gelände wahrscheinlicher war. Die frühen Hoffnungen hatte er bereits aufgegeben, und nun war es nur eine Frage der Geduld. Er hüpfte mit steten Bewegungen durch Cañons und Flußtäler, über flache, mit Findlingen übersäte Tafelländer, über kilometerweite Eisflächen, so unberührt und frisch, als wären sie erst gestern entstanden. Der Rhythmus seines Fortkommens nahm ihn auf, und er überließ sich einer endlosen Weite von Eis, Schnee und Fels, die unter ihm hinwegflossen, wenn er flog und landete, ständig in einer vorwärtsdrängenden Körperneigung. Als sich Müdigkeit in seinen Beinen bemerkbar machte, legte er eine Pause ein. Er befand sich in einer Schlucht, die in eine Schwemmfläche aus Kieseln und Eisbrocken auslief, erst kürzlich von einem gezackten Bergrücken herabgespült. Um sich herum erkannte er nichts, was mit der Karte auf seiner Gesichtsplatte übereinstimmte. Er sprang so hoch er wagte, sah aber keine hervorstechenden Geländemerkmale, die ihm weiterhalfen. Es war eine Sache des Stolzes, das Land selbst zu erforschen, denn Satellitensysteme konnten nicht ständig für jeden Menschen auf der Oberfläche Ortsbestimmungen durchführen. Old Matt hatte ihn das gelehrt, und er hatte über die Zeit gesprochen, als die Menschen sich zum ersten Mal auf Ganymed bewegten und man eine Stunde auf eine Anweisung des überlasteten Systems warten mußte. Er verfolgte seinen bisherigen Weg zurück, beobachtete das Gelände aufmerksamer, um es kennenzulernen und sich nicht vom hypnotischen Rhythmus des
Weitere Kostenlose Bücher