Wider die Unendlichkeit
mit mir?«
Er blinzelte. »Sie sind besser bekannt, als Sie vielleicht glauben. Schließlich leisten Sie in den Petroanlagen gute Arbeit. Jetzt, da wir den Asteroiden bei den Nahrungsmitteln nicht mehr voraus sind, ist es doppelt wichtig, zu automatisieren, unsere eigenen Schmiermittel herzustellen. Sie haben eine gute Wahl getroffen.«
»Ich habe mir das Gebiet nicht ausgewählt. Ich kam überstürzt hierher. Ein Job war frei, ich nahm ihn.«
»Egal, aus welchem Grund. Natürlich wären Sie mir vielleicht nie aufgefallen, wenn es nicht Ihre frühere Heldentat gegeben hätte, die …«
»Es ist sehr erfreulich, von jemandem wie Ihnen beachtet zu werden, Señor Gutierrez. Schließlich gehöre ich ja noch nicht mal zur Lumpenintelligenz. Hm …« Betont schaute Manuel auf seine Fingernägel. »Schon spät. Ich sehe besser mal nach, ob etwas schiefgegangen ist.«
»Sie treffen sie immer hier, nicht wahr? Ich sehe Sie auf meinem Weg nach Hause.«
»Ich hätte nicht gedacht, daß Sie ein Zuhause haben. Die Leute in Ihrer Sektion haben dafür gestimmt, ihre Appartements …«
»Wohneinheiten.«
»Okay, Wohneinheiten – sie in Gemeinbesitz zu überführen. Also haben Sie kein Zuhause. Sie wechseln jeden Tag.«
Manuel hatte richtig vermutet. Er hatte das Gespräch von dem Aleph weggelenkt, ohne unhöflich zu sein – in den ersten Jahren hatte er lange gebraucht, das zu lernen –, und dann war er dem Thema ausgewichen, mit wem er verabredet wäre, und jetzt hatte er eines gefunden, über das Gutierrez gerne redete. Wenn er den Mann einige Minuten gewähren ließe, würde Gutierrez die vorherigen Themen vergessen, und dann könnte Manuel wieder auf die Uhr schauen und ohne Probleme gehen. »Ich halte mich aus Bequemlichkeit an ein halbes Dutzend Wohneinheiten, sie liegen alle in der Nähe des Schrankfachs, das meine Kleider enthält. Wohlgemerkt, ich sage nichts gegen die Idee. Eine wunderbare Methode, die territorialen Instinkte zu durchbrechen. Mit der Zeit werden diese Instinkte vom privaten Besitz zur Hiruko-Gemeinde als Ganzem übertragen. So wie sie es auf der Erde gemacht haben. Wir machen sogar Fortschritte bei der Beteiligung von Familien.«
»Warum soll man sie einbeziehen?«
»Weil wir Methoden entwickeln müssen, Kinder aufzuziehen, die nicht von der Familie abhängen. Weil die Familie in modernen Zeiten in romantischer Liebe wurzelt.«
»Ach?« Noch ein paar Minuten, und er könnte gehen. Jetzt, als die Sonnenfinsternis kam, trübte sich das Licht unter den Jakarandabäumen zu einem rötlichen Glühen wie bei schwelenden Kaminscheiten. Er hatte die winzigen Veränderungen beobachtet, sie trotz des Geredes genossen.
»In der historischen Perspektive ist heutzutage leicht zu verstehen, daß die Betonung der romantischen Liebe entstand, um eine Zuflucht für die Psyche zu schaffen – einen Schutz vor den Belastungen des Wettbewerbs unter kapitalistischen Bedingungen. Und die Kapitalisten wußten das – wenn nicht bewußt, so doch zumindest ahnungsweise. Um von den Ungerechtigkeiten des Kapitalismus abzulenken, was lag da näher, als jedermann auf innere Probleme hinzuführen? Man definierte sich selbst in Beziehung zu einem anderen Menschen. In ›Liebe‹ eingehüllt, vergaß man seine Position in der Pyramide des Kapitals. Und wenn romantische Liebe schwindet, gibt es immer den Ansturm der Vergnügungsmöglichkeiten – grelle Ablenkungen, ein weiteres Kennzeichen der Vergangenheit. Aber nimm den Wettbewerb weg, führe den Sozialismus ein – und plötzlich« – selbstbewußt grinsend spreizte er erneut die Finger – »stellst du fest, du siehst die Frauen, wie sie sind. Als ökonomische und politische Wesen, ohne eine falsche Aura.«
Eine sanfte, aber entschlossene Stimme sagte: »Der Fehler liegt im Auge des Betrachters.«
Gutierrez fuhr hoch. Neben ihm stand Belinda, die vollen Lippen zu einem Grinsen verzogen.
»Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich wollte nicht sagen …«
Belinda lächelte, vergab dem Mann und tat ihn ab, alles mit einem Blick. Dem Rest von Gutierrez’ Erklärung hörte sie einfach nicht mehr zu, sondern ging um den Tisch herum und legte eine Hand auf Manuels Schulter. Er sah einen besorgten Ausdruck in ihren Augen, ignorierte ihn aber. Zu erleichtert war er, daß sie hier war und sie beide gehen konnten. Er begann einen Satz, der ihren Aufbruch ankündigen sollte, doch sie unterbrach ihn:
»Ich komme so spät, weil ein Anruf für dich kam. Zu mir. Von deiner
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