Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell
gründlicher sie darüber nachdachte, desto mehr festigte sich die Überzeugung, daß ihnen tatsächlich keine andere Wahl blieb. Das eigentliche Grauen ging von Kämpffer aus.
Während sie sich der Herberge näherte, fühlte sie, daß die Kühle der Feste endlich von ihr wich. Sie ging um das Gebäude herum, um nach Glenn Ausschau zu halten. Aber er war nicht draußen, um den warmen Sonnenschein zu genießen, und saß auch nicht beim Frühstück. Magda ging zum Obergeschoß und lauschte an seiner Tür. Schlief er noch?
Sie hob die Hand, um anzuklopfen, überlegte es sich dann aber anders. Sie wollte keineswegs den Eindruck erwecken, ihm nachzulaufen. Eine zufällige Begegnung ist besser; dann brauche ich mir nichts vorzuwerfen.
In ihrer eigenen Kammer hörte sie das klagende Zwitschern der kleinen Vögel und sah aus dem Fenster. Vier winzige Köpfe reckten sich aus dem Nest und verlangten mit weit geöffneten Schnäbeln nach Nahrung. Von der Mutter war weit und breit keine Spur.
Magda griff nach der Mandoline, spielte einige Akkorde und ließ das Instrument dann wieder sinken. Sie war zu nervös, und das beständige Piepsen der hungrigen Vögel lenkte sie ab. Nach einigen Sekunden traf sie eine Entscheidung und trat in den Flur.
Zweimal klopfte sie an die Tür des Zimmers auf der anderen Seite. Nichts rührte sich. Die junge Frau zögerte kurz, gab sich einen Ruck und drückte die Klinke hinunter.
»Glenn?«
Er war nicht da. Magda erkannte das Zimmer sofort wieder: Bei ihrem letzten Aufenthalt am Dinu-Paß – zusammen mit ihrem Vater, der damals noch nicht im Rollstuhl saß – hatte sie hier gewohnt. Ihr Blick schweifte durch die Kammer; irgend etwas schien zu fehlen. Es dauerte eine Zeitlang, bis ihr auffiel, worin die Veränderung bestand: Der Spiegel hing nicht mehr über der Kommode. Vielleicht ist er zerbrochen, und Iuliu hatte ihn noch nicht ersetzt.
Magda betrachtete das Bett, in dem Glenn geschlafen hatte. Eine seltsame Erregung erfaßte sie, und sie fragte sich, was sie sagen sollte, wenn der rothaarige Mann jetzt zurückkehrte. Wie könnte ich meine Anwesenheit in seinem Zimmer erklären?
Sie hielt es für besser, den Raum wieder zu verlassen.
Als sich Magda umdrehte, bemerkte sie, daß die Schranktür einen Spaltbreit offenstand. Sie gab ihrer Neugier nach und schob sich näher heran.
Der Kommodenspiegel war nicht zerbrochen, sondern lag in einer Ecke des Kleiderschranks. Warum hatte ihn Glenn abgenommen? Sie sah einige Hosen und Hemden – und bemerkte auch noch etwas anderes: den langen, flachen Kasten.
Magda ließ sich auf die Knie sinken und berührte das rauhe, rissige Leder. Es schien sehr alt zu sein. Sie warf einen kurzen Blick über die Schulter, um sicher zu sein, daß sie noch immer allein war. Keine Schritte im Flur. Was ma che ich hier eigentlich? dachte sie. Ich verhalte mich wie ein kleines Mädchen, das nach versteckten Bonbons sucht. Dennoch stand sie nicht auf, betrachtete weiterhin den sonderbaren Kasten und fragte sich, was er beinhaltete. Ihre Hände bewegten sich von ganz allein, als sie die Schnallen löste, den Deckel hob …
Verwirrt runzelte sie die Stirn. Der Inhalt bestand aus irgendeiner Art von Metall und glänzte in einem stählernen Blau: eine lange, keilförmige Klinge, unten breit, oben spitz, die Kanten abgeschrägt. Wie ein Schwert. Ja, genau! Ein Breitschwert. Allerdings fehlte das Heft. Am verdickten unteren Ende war ein rund fünfzehn Zentimeter langer Dorn, offenbar dazu bestimmt, in einen Griff eingefügt zu werden.
Magda betrachtete die eigentümlichen Symbole in der blauen Klinge. Es handelte sich nicht etwa um gewöhnliche Gravuren, die nur die Oberfläche betrafen. Diese Zeichen schienen in das Metall hineingeschnitten zu sein. Die junge Frau strich mit den Fingerspitzen darüber und fühlte die Vertiefungen. Runen, dachte sie. Sie kannte germanische und skandinavische Runen, aber diese waren älter, sehr viel älter. Und sie wirkten irgendwie unheimlich, schienen sich zu bewegen, während Magdas Blick auf ihnen ruhte.
Hinter ihr fiel die Tür ins Schloß.
»Warum schnüffeln Sie hier herum?«
Magda zuckte zusammen und ließ den Deckel los, der daraufhin mit einem dumpfen Knall zurückfiel. Sie sprang auf, drehte sich um und sah Glenn. Bestürzung und Schuld vermischten sich mit Verlegenheit.
»Glenn, ich …«
In seinen Augen funkelte es wütend. »Ich dachte, ich könnte Ihnen vertrauen! Was haben Sie hier gesucht?«
»Nichts … Ich
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