Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell
an die schmutzigen Stiefel und an die Laken, die immer wieder zurechtgezogen werden mußten.
Lehmverkrustete Stiefel …
Er sah sie vor seinem inneren Auge und spürte ein seltsames, prickelndes Unbehagen.
Kämpffer hockte im Schneidersitz auf seinem Feldbett und hatte seine entsicherte Maschinenpistole griffbereit in der Nähe. Es gelang ihm nicht, das Schaudern und Zittern zu unterdrücken. Zum erstenmal begriff er, wie erschöpfend ständige Angst sein konnte.
Er mußte fort , er mußte die Feste verlassen!
Morgen sprenge ich das verdammte Kastell in die Luft – ja, das ist die richtige Lösung. Nur ein Haufen Schutt soll davon übrigbleiben. Und dann würde er aufbrechen; er könnte die Nacht zum Sonntag in Ploeşti verbringen, in einem richtigen Bett, ohne bei jedem noch so leisen Geräusch zusammenzuzucken oder vor Angst zu schwitzen.
Aber er durfte nicht schon am Samstag aufbrechen. Dadurch hätte er seine Unfähigkeit eingestanden. Er wurde erst am Montag in Ploeşti erwartet, und seine Pflicht bestand darin, die ihm zur Verfügung stehende Zeit zu nutzen und die Mordserie in der Feste zu beenden. Das Oberkommando hatte Wörmann und seine Truppe ins Kastell geschickt, um von dort aus den Dinu-Paß zu überwachen. Die Zerstörung der alten Festungsanlage kam also nur als letzter Ausweg in Frage.
Kämpffer hörte die Schritte von zwei SS-Soldaten, die an der Tür seines Zimmers vorbeigingen. Die Anweisung des Sturmbannführers lautete, den Korridor besonders streng zu bewachen. Obwohl er daran zweifelte, daß sich der unbekannte Mörder von Feuerstößen aus Maschinenpistolen aufhalten ließ. Er hoffte schlicht und einfach, daß das Wesen über die Wächter herfiel und ihn verschonte.
Und wenn nicht? Wenn sich das blutgierige Etwas in dieser Nacht nicht mit gewöhnlichen Soldaten begnügte? Wenn es sich für einen Offizier entschied?
Kämpffer schauderte erneut.
Kälte und Dunkelheit kamen wie in den vorherigen Nächten, aber diesmal war Cuza zu schwach, um den Rollstuhl zu Molasar umzudrehen. Er hatte kein wirksames Medikament mehr, um die Schmerzen in Knochen und Gelenken zu lindern.
»Wie betrittst du dieses Zimmer?« fragte er, um irgend etwas zu sagen. Sein Blick galt dem verborgenen Zugang, der Steinplatte, die sich aufschwingen ließ. Sie hatte sich nicht bewegt.
»Um von einem Ort zu einem anderen zu wechseln, bin ich weder auf Wege noch auf Korridore oder Türen angewiesen. Selbst massiver Fels ist kein Hindernis für mich.«
»Ein weiteres Rätsel«, murmelte der Professor und merk te selbst, daß seine Stimme niedergeschlagen klang.
Ein schlimmer Tag lag hinter ihm. Außer den beständigen Schmerzen machte ihm die bittere Erkenntnis zu schaffen, daß die Hoffnung auf eine Rettung seines Volkes nichts weiter war als ein Hirngespinst. Seine Absicht, mit Molasar ein Abkommen zu treffen, erschien ihm nun absurd. Was konnte dabei herauskommen? Kämpffers Tod? Magda hatte recht: Selbst wenn es gelang, den Sturmbannführer an der Verwirklichung seiner Pläne zu hindern – sie gewannen dadurch nur einen Aufschub. Außerdem könnte der gewaltsame Tod eines hochrangigen SS-Offiziers grausame Repressalien in bezug auf die rumänischen Juden zur Folge haben. Berlin würde einfach einen anderen Mann schicken, nächste Wo che oder vielleicht im nächsten Monat. Es spielte keine Rolle. Die Deutschen hatten Zeit. Sie gewannen jede Schlacht und besetzten immer mehr Gebiete in Europa. Es schien nicht die geringste Möglichkeit zu geben, sie aufzuhalten. Und wenn ihnen der ganze Kontinent gehörte, hinderte sie nichts daran, in aller Ruhe ihre Vorstellungen von Rassenreinheit durchzusetzen.
Was konnte ein alter, kranker Geschichtsprofessor dagegen unternehmen?
Hinzu kam das Wissen, daß Molasar das Kreuz fürchtete!
Das Schattenwesen bewegte sich, trat in Theodor Cuzas Blickfeld und musterte ihn. Seltsam, dachte der alte Mann. Entweder sind meine Depressionen so schlimm, daß ich überhaupt nicht mehr auf seine Anwesenheit reagiere, oder ich habe mich schon an ihn gewöhnt. Er hatte keine Angst, und er erschauerte auch nicht beim Anblick des Untoten.
»Ich glaube, du könntest sterben«, sagte Molasar plötzlich.
Seine Offenheit verblüffte Cuza. »Soll das heißen, daß du mich umbringen willst?«
»Nein. Vielleicht legst du Hand an dich selbst.«
Konnte Molasar Gedanken lesen? Im Verlauf des Nachmittags hatte der Professor tatsächlich einen solchen Ausweg erwogen. Sein Tod löste viele
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