Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell
fuhr der alte Mann fort. »O ja, Kämpffer hat den Ort gut gewählt. Er dürfte keine Schwierigkeiten damit haben, uns in sein Lager zu verfrachten. Und wenn feindliche Flugzeuge die Ölfelder bombardieren, würden sie den Nazis sogar Arbeit abnehmen. Kein einziger Lagerinsasse könnte das Inferno überleben.« Er zögerte kurz. »Wir müssen den Sturmbannführer irgendwie daran hindern, seine Absichten zu verwirklichen.«
Magda erhob sich ruckartig und zuckte zusammen, als heftiger Schmerz in ihrem Knie tobte. »Glaubst du etwa, du könntest ihm einen Strich durch die Rechnung machen? Er würde dich töten, bevor du eine Gelegenheit hättest, etwas gegen ihn zu unternehmen.«
»Und doch muß es eine Möglichkeit geben. Es geht nicht mehr nur um mein Leben oder deins. Hunderttausende von Menschen sind bedroht.«
»Selbst wenn es jemandem gelingt, Kämpffer … aufzuhalten: Es käme ein anderer Mann, um seinen Platz einzunehmen.«
»Ja. Aber bis dahin dauert es eine Weile, und jede Verzögerung wäre zu unserem Vorteil. In der Zwischenzeit entschließt sich vielleicht die Sowjetunion, das Dritte Reich anzugreifen. Oder umgekehrt. Zwei Wahnsinnige wie Hitler und Stalin fallen irgendwann übereinander her. Und wenn das geschieht … Möglicherweise gerät das geplante Konzentrationslager von Ploeşti darüber in Vergessenheit.«
»Aber wie willst du den Sturmbannführer daran hindern, seinen Auftrag auszuführen?« Magda versuchte, wie ihr Vater zu denken, und begann etwas zu ahnen.
»Vielleicht kann uns Molasar helfen.«
»Nein!« platzte es aus der jungen Frau heraus. Sie zitterte.
Der Professor hob eine Hand. »Warte, Magda. Molasar hat angedeutet, daß er in mir einen Verbündeten gegen die Deutschen sieht. Ich weiß nicht, welchen Nutzen er sich von mir verspricht, aber vielleicht bekomme ich heute abend ei ne Antwort auf diese Frage. Als Gegenleistung werde ich ihn darum bitten, Kämpffer zu töten.«
»Mit einem Wesen wie Molasar kann man keine Vereinbarung treffen!« stieß Magda hervor. »Wer sagt dir, daß es nicht auch dich umbringt?«
»Mein Leben hat keine Bedeutung mehr für mich. Wie ich schon sagte: Es geht jetzt um viel mehr. Außerdem spüre ich ein gewisses Ehrgefühl in Molasar. Ich glaube, du fällst ein zu hartes Urteil über ihn. Du reagierst wie eine Frau, nicht wie eine Gelehrte. Molasar ist von seiner Epoche geprägt worden, und damals waren völlig andere Maßstäbe als heute gültig. Er hat einen ausgeprägten Nationalstolz, der von den Deutschen verletzt wurde. Vielleicht bin ich in der Lage, diesen Umstand zu unserem Vorteil zu nutzen. Er hält uns für Landsleute und begegnet uns daher mit Wohlwollen. Denk nur: Gestern nacht hat er dich vor zwei Deutschen gerettet, die dich vergewaltigen wollten; er hätte auch deine Kehle zerfetzen und dein Blut trinken können. Wir müssen versuchen, ihn gegen Kämpffer einzusetzen! Es ist unsere einzige Chance.«
Magda stand vor dem Rollstuhl und suchte nach einer anderen Möglichkeit. Doch schon nach wenigen Sekunden begriff sie, daß ihr Vater recht hatte. Vielleicht gelang sein Plan, aber Magda war dennoch unsicher.
»Die Sache gefällt mir nicht«, sagte sie schließlich.
»Das verlangt auch niemand von dir, Töchterchen. Es geht um das Überleben unseres Volkes, und wir müssen uns der Notwendigkeit beugen.« Vergeblich versuchte er, ein Gähnen zu unterdrücken. »Bring mich jetzt zurück, Magda. Ich bin erschöpft und möchte schlafen. Ich brauche meine ganze geistige Kraft, wenn ich Molasar heute abend dazu bewegen will, auf meinen Vorschlag einzugehen.«
»Ein Abkommen mit dem Teufel«, murmelte die junge Frau und wurde blaß.
»Nein, Magda. Der Teufel im Kastell trägt eine schwarze Uniform und nennt sich Sturmbannführer.«
Widerstrebend brachte Magda ihren Vater zum Tor zurück und beobachtete, wie ein Soldat den Rollstuhl zum Turm schob. Dann wandte sie sich um, kehrte in die Herberge zurück und bemühte sich, ihre chaotischen Gedanken zu ordnen. Die Ereignisse überstürzten sich, und sie verlor allmählich den Überblick. Ihr bisheriges Leben war von Büchern, Forschungsarbeiten und Zigeunermusik bestimmt gewesen, aber ganz plötzlich spielten all diese Dinge keine Rolle mehr. Sie war in einen Mahlstrom von Ereignissen geraten, der sie zu zermalmen drohte.
Sie hoffte inständig, daß sich die Erwartungen ihres Vaters erfüllten. Die Vorstellung eines Bündnisses mit Molasar bereitete ihr nach wie vor Unbehagen, aber je
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