Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell
änderte er seine Meinung. »Nun, vielleicht sollten Sie Bescheid wissen.« In seiner Stimme schwang Boshaftigkeit mit. »Alexandrus Söhne haben miteinander gekämpft. Einer ist tot, der andere schwer verletzt.«
»Wie schrecklich!« rief Magda. Sie kannte Alexandru und seine Söhne von früheren Besuchen und hielt sie für gute Freunde.
»Nicht unbedingt, Domnisoara Cuza«, widersprach Iuliu gleichgültig. »Alexandru und seine Familie haben sich lange genug für etwas Besseres gehalten. Es geschieht ihnen ganz recht!« Er kniff die Augen zusammen. »Außerdem ist es eine Lehre für Fremde, die hierherkommen und sich erdreisten, auf uns herabzusehen.«
Magda verstand die Drohung und wich zurück. Was ist mit Iuliu geschehen? Sonst ist er immer so nett und freundlich.
Sie wandte sich ab, ging auf die andere Seite der Herberge und sehnte sich mehr denn je nach Glenn. Doch nirgends zeigte sich eine Spur von ihm. Er stand auch nicht hinter dem Busch am Rand der Schlucht, um von dort aus die Feste zu beobachten.
Besorgt kehrte Magda zum Gasthaus zurück. Einige Meter vor dem Eingang wurde sie auf eine Gestalt aufmerksam, die sich taumelnd näherte. Eine Frau – sie schien verletzt zu sein.
»Hilfe!«
Magda wollte auf sie zueilen, doch Iuliu, der noch immer vor der Herberge stand, hielt sie fest.
»Bleiben Sie hier!« brummte er. Und an die Verletzte gerichtet: »Verschwinde, Ioan!«
»Ich bin verwundet!« schluchzte die Frau. »Matei hat mit dem Messer zugestochen!«
Magda sah, daß Ioans linker Arm schlaff herabbaumelte und die Kleidung – offenbar ein Nachthemd – von der Schulter bis zum Knie blutbesudelt war.
»Deine Probleme interessieren mich nicht!« rief Iuliu. »Ich habe genug eigene.«
Die Frau wankte weiter. »Bitte helft mir!«
Der dicke Wirt griff nach einem apfelgroßen Stein.
»Nein!« schrie Magda und streckte die Hand nach dem Arm des Wirts aus.
Iuliu stieß sie fort und warf den Stein mit aller Kraft. Glücklicherweise zielte er nicht genau genug, und das Geschoß raste dicht am Kopf der verletzten Frau vorbei. Ioan verstand die Botschaft. Sie schluchzte noch einmal, bevor sie sich umwandte.
Magda starrte ihr fassungslos nach. »Warten Sie! Ich hel fe Ihnen!«
Aber das ließ Iuliu nicht zu. Mit einem leisen Fluch zerrte er Magda durch die Tür ins Gasthaus. Magda stolperte und fiel zu Boden.
»Kümmern Sie sich gefälligst um Ihre eigenen Angelegenheiten!« schrie er. »Ich will nicht, daß mir jemand Schwierigkeiten macht! Gehen Sie in Ihr Zimmer, und bleiben Sie dort!«
»Was erlauben Sie sich …«, begann Magda, brach jedoch ab, als Iuliu mit wutverzerrtem Gesicht herankam und die Faust zum Schlag erhob. Erschrocken sprang sie auf und lief die Treppe hinauf.
Was ist nur in ihn gefahren? dachte sie. Er scheint heute ein ganz anderer Mensch zu sein! Die Veränderung betraf nicht nur ihn, sondern auch alle anderen Dorfbewohner. Sie fielen übereinander her, brachten sich gegenseitig um – und niemand war bereit, den Nachbarn und früheren Freunden zu helfen.
Im Obergeschoß öffnete Magda die Tür auf der anderen Flurseite. Glenns Zimmer war noch immer leer.
Ziellos wanderte sie in dem kleinen Raum umher, sah schließlich im Schrank nach und fand dort alles so wie am Vortag: die Kleidung, der Kasten mit der Schwertklinge, der Spiegel. Sie betrachtete die helle Stelle über der Kommode: Der Nagel steckte noch immer in der Wand. Und die Rückseite des Spiegels wies nach wie vor eine Drahtschlaufe auf. Hatte Glenn ihn abgenommen? Warum?
Voller Unbehagen schloß sie den Schrank und verließ die Kammer. Die schroffen, vorwurfsvollen Worte ihres Vaters am Morgen und Glenns unerklärliches Verschwinden hatten sie mißtrauisch gemacht. Sie mußte ruhig bleiben und sich zusammenreißen. Es ist alles in Ordnung mit Vater, redete sie sich ein. Glenn wird sicher bald zurück sein. Und die Leute im Dorf … Bestimmt beruhigen sie sich wieder.
Glenn … Wo steckte er? Warum war er nicht in der Herberge? Gestern sind wir stundenlang zusammen gewesen, und heute läßt er sich nicht blicken.
Als sich die Sonne den Berghängen entgegenneigte, verwandelte sich Magdas Unruhe in Verzweiflung. Erneut warf sie einen Blick in Glenns Zimmer – er war immer noch nicht hier. Niedergeschlagen kehrte sie in ihren eigenen Raum zurück, starrte aus dem Fenster und hielt am Rand der Schlucht nach Bewegungen Ausschau.
Schließlich bemerkte sie etwas im Gebüsch rechts von der Brücke. Abrupt wirbelte
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