Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell
Magda um die eigene Achse und stürmte die Treppe herunter. Glenn! Es mußte Glenn sein!
Sie lief über den Pfad, und als sie sich den Sträuchern näherte, sah sie einen roten Haarschopf. Erleichterung durchströmte sie.
Glenn saß auf einem Felsen hinter den Büschen und beobachtete die Feste. Magda wollte die Arme um ihn schlingen, glücklich darüber, ihn wiederzusehen – und ihm gleichzeitig eine Ohrfeige geben, weil er fortgegangen war, ohne ihr ein Wort zu sagen.
»Wo bist du den ganzen Tag über gewesen?« fragte sie und versuchte, möglichst ruhig zu klingen.
Glenn drehte sich nicht zu ihr um, als er antwortete: »Ich bin spazierengegangen. Durch den Paß. Ich wollte ungestört nachdenken.«
»Ich habe dich vermißt.«
»Ich dich auch.« Er streckte den Arm aus. »Hier ist auch Platz für zwei.« Er lächelte zurückhaltend.
Magda schmiegte sich an ihn. Es fühlte sich gut an, wieder seine Nähe zu spüren. »Du scheinst dir Sorgen zu machen.«
»Dazu habe ich auch allen Grund. Sieh nur die Blätter hier.« Er griff nach einigen und zerdrückte sie. »Sie verwelken. Obwohl heute erst der dritte Mai ist. Und die Dorfbewohner …«
»Es liegt an der Feste, nicht wahr?« unterbrach ihn Magda.
»Offenbar gibt es keine andere Erklärung. Je länger die Deutschen im Kastell bleiben, je mehr Wände sie einreißen, desto stärker wird die Aura des Bösen. Alles deutet darauf hin.«
»Ja«, murmelte Magda. »Alles deutet daraufhin.«
»Und dann dein Vater …«
»Mir graut bei der Vorstellung, daß Molasar sich gegen ihn wenden und ihn ebenfalls töten könnte. So wie … wie die anderen.«
»Vielleicht stößt ihm etwas Übleres zu, als von Molasar umgebracht zu werden.«
Der Ernst in Glenns Stimme jagte Magda einen kalten Schauer über den Rücken. »Was denn, zum Beispiel?«
»Es wäre möglich, daß er sein Selbst verliert.«
»Sich selbst?«
»Nein, sein Ich . Seine Persönlichkeit. Das, was ihn zu Theodor Cuza macht.«
»Ich verstehe nicht ganz …« Magda musterte Glenn, dessen Blick in die Ferne schweifte.
Er schwieg eine Zeitlang, bevor er antwortete: »Gehen wir einmal von der Annahme aus, daß die Vampire, Moroi oder Untoten wirklich nur in Sagen und Legenden existieren. Nehmen wir einmal an, daß sich der Vampirmythos auf den Versuch gründet, etwas zu verarbeiten, was eigentlich immer unbegreiflich war. Nehmen wir an, die tatsächliche Grundlage solcher Geschichten ist ein Geschöpf, das nicht etwa nach Blut giert, sondern sich statt dessen an menschlichen Schwächen labt, an Wahnsinn und Schmerz. Ein Wesen, dessen Nahrung aus Elend und Leid besteht.«
Glenns Tonfall machte Magda unruhig. »Das klingt schrecklich. Wie kann sich jemand – etwas – von Pein und Not ernähren? Behauptest du etwa, daß Molasar …«
»Es sind nur Annahmen.«
»Nun, ich bin sicher, daß du dich irrst«, erwiderte Magda unsicher. »Molasar ist böse und vielleicht auch verrückt. Das gehört zu seiner Natur. Aber deine Beschreibungen treffen nicht auf ihn zu. Nein, unmöglich! Bevor wir kamen, hat er die als Geiseln genommenen Dorfbewohner gerettet, indem er ihre beiden Wächter tötete. Und er hat mich davor bewahrt, von den SS-Soldaten vergewaltigt zu werden.« Magda schauderte bei diesen Erinnerungen. »Ich habe gelitten, sehr sogar. Wenn du recht hättest, wäre das ein Festschmaus für Molasar gewesen. Statt dessen griff er ein und brachte die Männer um.«
»Ja. Auf ziemlich brutale Art und Weise, nicht wahr?«
Magda entsann sich an das Röcheln der Soldaten und das Geräusch der splitternden Nackenknochen und Knorpel, als Molasar sie schüttelte. Sie nickte.
»Also ist er nicht leer ausgegangen.«
»Er hätte auch mich töten können. Aber er hat es vorgezogen, mich zu meinem Vater zu bringen.«
Glenn richtete einen durchdringenden Blick auf sie. »Eben!«
Magda musterte ihn verwirrt. »Und was meinen Vater betrifft: Er hat die letzten Jahre fast in Agonie verbracht. Aber jetzt ist er geheilt und wieder völlig gesund! Wenn Molasar seine Kraft durch menschliches Elend und Leid gewinnt, warum hat er ihn dann von seinen Schmerzen befreit?«
»Ja, warum?«
»Ach, Glenn!« Magda preßte sich an ihn. »Jag mir nicht noch mehr Angst ein!«
Glenn legte den Arm um ihre Schultern. »Denk einmal an folgendes: Deinem Vater geht es jetzt körperlich viel besser. Aber wie steht es mit seinem Bewußtsein? Ist er noch immer der gleiche Mann, mit dem du vor vier Tagen hier eingetroffen bist?«
Genau
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