Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell
diese Frage beunruhigte Magda schon seit Stunden.
»Ja … Nein … Ich weiß es nicht. Ich glaube, er ist mindestens ebenso durcheinander wie ich. Aber bestimmt erholt er sich wieder. Er hat nur einen Schock erlitten, weiter nichts. Wahrscheinlich verhält er sich nur deshalb ein wenig seltsam, weil er gerade von einer angeblich unheilbaren Krankheit erlöst wurde. So etwas kann einen ziemlich aus der Fassung bringen.«
Glenn gab keine Antwort, und Magda war dankbar dafür. Es bedeutete, daß auch er den Frieden zwischen ihnen bewahren wollte. Ihre Blicke folgten dem Nebel, der durch den Paß glitt und an dem granitenen Sockel emporkroch, auf dem sich die Feste erhob. Die Sonne verschwand hinter der Schluchtwand, und Dunkelheit schlich heran.
Magda erinnerte sich an die Erklärungen ihres Vaters: Molasar beabsichtigte, in der kommenden Nacht alle Deutschen im Kastell zu töten. Das sollte eigentlich Hoffnung in ihr wecken, aber sie hatte nur noch mehr Angst. Selbst Glenns Nähe konnte sie nicht ganz verbannen.
»Laß uns zum Gasthaus zurückkehren«, schlug sie schließlich vor.
Der rothaarige Mann schüttelte den Kopf. »Nein. Ich möchte beobachten, was dort drüben geschieht.«
»Es könnte eine lange Nacht werden.«
»Ja, eine sehr lange«, murmelte er. »Vielleicht dauert sie ewig.«
Magda musterte ihn und glaubte, so etwas wie Betroffenheit in seinen Zügen zu erkennen. Was belastete ihn so sehr? Und warum vertraute er sich ihr nicht an?
26. Kapitel
»Bist du bereit?«
Die Worte erschreckten Cuza nicht. Als das Tageslicht verblaßt war, rechnete er jeden Augenblick damit, daß Molasar zu ihm kam. Beim Klang der dumpfen Stimme erhob er sich aus seinem Rollstuhl, einmal mehr stolz darauf, aus eigener Kraft stehen und sich bewegen zu können. Stundenlang hatte er auf den Sonnenuntergang gewartet – nun war es endlich soweit.
»Ja, ich bin bereit«, sagte er und drehte sich um. Der Untote stand dicht hinter ihm – kaum sichtbar im flackernden Schein der einen Kerze. Cuza hatte die Glühbirne aus der Einfassung des Lampenschirms geschraubt; im Kerzenlicht fühlte er sich wohler. Es schuf eine Atmosphäre des Vertrauens zwischen Molasar und ihm. »Du hast mich geheilt, und jetzt kann ich dir helfen.«
Das Schattenwesen nickte langsam. »Es ist mir nicht schwergefallen, dich von deinem Leiden zu befreien. Wäre ich stärker gewesen, hätte ich die Krankheit innerhalb weniger Sekunden aus dir tilgen können, aber so dauerte es eine ganze Nacht.«
»Menschliche Ärzte sind zu so etwas nicht imstande.«
Molasar zuckte mit den Schultern. »Ich habe nicht nur die Macht, Tod zu bringen, sondern kann auch heilen. Es gibt immer einen Ausgleich. Immer.«
Der Untote schien in der Stimmung zu sein, philosophische Gespräche zu führen, aber Cuza achtete nicht darauf. Seine Gedanken galten in erster Linie den kommenden Stunden. »Was machen wir jetzt?«
»Wir warten«, erwiderte Molasar.
»Und … anschließend?« Cuza konnte seine Ungeduld kaum mehr bezähmen. »Was dann?«
Das Schattenwesen trat ans Fenster heran und beobachtete die dunkler werdenden Berge. Nach einer langen Pause antwortete es leise: »Heute nacht werde ich dir die Quelle meiner Macht anvertrauen. Du mußt sie nehmen, aus der Feste bringen und an einem sicheren Ort verstecken. Laß dich dabei von nichts aufhalten. Du darfst niemandem erlauben, dir den Gegenstand abzunehmen.«
»Die Quelle deiner Macht?« wiederholte Cuza ehrfürch tig. »Ich habe noch nie gehört, daß Untote so etwas besitzen.«
»Es ist ein wohlgehütetes Geheimnis«, entgegnete Molasar und sah den Professor an. »Jenes Objekt gibt mir Kraft, doch gleichzeitig kann es genutzt werden, um mich zu vernichten. Aus diesem Grund bewahre ich es immer in meiner Nähe auf.«
» Was ist es? Wo …«
»Ein Talisman, der im Gewölbe unter dem Keller liegt. Wenn ich die Feste verlasse, darf ich ihn nicht ungeschützt zurücklassen. Und ich kann es auch nicht riskieren, ihn nach Deutschland mitzunehmen. Ich brauche jemanden, der während meiner Abwesenheit darauf achtgibt.« Er kam näher.
Cuza spürte, daß sich auf seinen Armen und seinem Rüc ken eine Gänsehaut bildete, als Molasars unheilvoller Blick an ihm festklebte. Er zwang sich dazu, nicht zurückzuweichen.
»Du kannst mir vertrauen. Ich verstecke deinen Talisman so gut, daß ihn niemand findet. Ich schwöre es!«
»Wirklich?« Molasar trat noch näher heran. Unstetes Kerzenlicht glitt über seine bleichen Züge.
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