Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell
Ein unehrenhafter Tod. Schlimmer als Desertion. Kämpffer stellte sich vor, wie Wörmanns Frau und seine beiden Jungen reagieren würden, wenn sie hörten, welches Ende ihr Held gefunden hatte …
Oster führte ihn nicht etwa zum Turm, sondern lenkte seine Schritte in den zum Keller führenden Korridor. Und als sie das Loch im Boden erreichten, unter dem sich die Finsternis des Gewölbes erstreckte …
Wörmann hing an einem dicken Seil, und seine Leiche baumelte wie in einer leichten Brise hin und her. Der Strick war um einen freigelegten Deckenbalken geschlungen, und Kämpffer hielt vergeblich nach einem Stuhl Ausschau. Er überlegte verwundert, wie sich der Wehrmacht-Major umgebracht haben konnte. Vielleicht ist er auf einen der Schutthaufen gestiegen und heruntergesprungen, nachdem er sich die Schlinge um den Hals gelegt hatte. Die Augen quollen aus den Höhlen, und Kämpffer hatte den Eindruck, daß ihn ihr Blick verfolgte. So ein Unsinn! Er ist tot! Tot!
Er trat so nahe heran, daß ihn nur noch wenige Zentimeter von Wörmanns Gürtelschnalle trennten, legte den Kopf in den Nacken und musterte die erstarrten Gesichtszüge …
Die Augen. Sie schienen auf ihn herabzublicken. Kämpffer schauderte, wandte sich ab und bemerkte Wörmanns Schatten an der Wand, der ihn an das Gemälde erinnerte.
Plötzlich lief es ihm kalt über den Rücken.
Hatte der Major seinen Tod vorausgeahnt?
Das Unbehagen in Kämpffer verdichtete sich zu Furcht, als er begriff, daß er jetzt der einzige Offizier im Kastell war. Von nun an lastete die Verantwortung allein auf ihm. Vielleicht stand auch er auf der Liste des unbekannten Mörders. Vielleicht …
Schüsse knallten im Hof.
Kämpffer wirbelte herum und sah, daß Feldwebel Oster in den Korridor starrte und seinen Blick dann wieder auf den Sturmbannführer richtete. Er bekam keine Gelegenheit mehr, eine Frage zu stellen: Osters Gesicht verzerrte sich zu einer Fratze des Grauens, als er die zitternde Hand hob und über Kämpffer hinwegdeutete.
Der SS-Offizier spürte, wie eiskalte Finger um seinen Hals tasteten und zudrückten.
Er wollte um sich treten, das Etwas beiseite stoßen, aber die Hände hielten ihn fest. Er brachte keinen Schrei hervor, nur ein dumpfes Röcheln. Verzweifelt zerrte Kämpffer an den Fingern, wand sich hin und her und versuchte, den Angreifer anzusehen. Tief in seinem Innern wußte er bereits, um wen es sich handelte, doch noch wehrte sich sein Verstand, die furchtbare Erkenntnis zu akzeptieren. Den Fingern folgten Handgelenke, die Ärmel einer grauen Uniform.
Wörmann!
Aber er ist tot!
Panik zerfetzte Kämpffers Gedanken. Er bot seine ganze Kraft auf, um sich aus dem tödlichen Griff zu befreien – vergeblich. Wörmann – die Leiche des Majors – zerrte ihn langsam in die Höhe, bis nur noch die Zehenspitzen den Boden berührten. Kämpffer streckte die Hände nach Oster aus, aber der Feldwebel wich zurück. Er starrte weiterhin auf die Gestalt am Seil.
Verschiedene Eindrücke fluteten Kämpffer entgegen und verloren sich allmählich, als immer weniger Blut sein Hirn erreichte und die Schatten des Todes herankrochen.
Das Rattern von Maschinenpistolen auf dem Hof, gellen de, schrille Schreie … Oster, der davontaumelte, das Gesicht noch immer zu einer Fratze verzerrt … Er sah nicht die beiden Toten, die um die Ecke traten, einer von ihnen war Gefreiter Flick, der in der ersten Nacht gestorben war … Oster bemerkte sie zu spät und zögerte. Er fragte sich offenbar, wohin er fliehen sollte … Salvenartiges Knallen … Jetzt auch Schüsse im Innern der Feste … Oster riß seine automatische Waffe von der Schulter, legte an und pumpte die Leichen voll Blei … Kugeln, die ihre verdreckten Uniformen zerrissen, die gespenstischen Gestalten jedoch nicht aufhielten … Sie kamen näher, immer näher … Oster schrie, als ihn einer der Toten packte und mit dem Kopf voran an die steinerne Wand schleuderte … Der Schrei brach abrupt ab, und ein lautes Knacken ertönte … Sein Schädel platzte … Blut spritzte …
Kämpffers Blick trübte sich, und die Geräusche wurden leiser. Die Reste seiner bewußten Gedanken bildeten ein flehentliches Gebet.
O Gott! Bitte laß mich leben! Wenn du mich errettest, werde ich dir fortan mit ganzer Hingabe dienen. Bitte!
Irgend etwas knirschte … Dann ein Sturz zu Boden … Das Seil gab unter dem Gewicht der beiden Männer nach … Aber der Druck am Hals verringerte sich nicht … Eine sonderbare Taubheit
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