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Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell

Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell

Titel: Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Paul Wilson
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vielleicht alles aufs Spiel setzen, nur weil du ein wenig Schmutz fürchtest?«
    »Nein! Nein, natürlich nicht. Es ist nur …« Cuza starrte auf die Leichen.
    Molasar folgte seinem Blick. Zwar blieb er still und gab ihnen auch kein Zeichen, aber die Toten drehten sich plötzlich um, krochen aus der Grube und blieben daneben stehen. Die Ratten drängten sich um sie herum und trippelten über ihre Füße.
    »Nun?« fragte Molasar und sah den Professor an.
    Cuza wußte, daß er nicht länger zögern durfte. Er gab sich einen Ruck und glitt über den Rand der Mulde. Unten legte er die Taschenlampe auf einen Stein und strich lockere Erde beiseite. Die Kälte und der Dreck machten seinen Händen überhaupt nichts aus. Nach dem anfänglichen Ekel darüber, an der gleichen Stelle graben zu müssen wie zuvor die Leichen, fand er sogar Gefallen an der körperlichen Arbeit. Es fühlte sich gut an, die Finger in den Boden zu bohren, ohne dabei irgendwelchen Schmerz zu empfinden.
    Nach einigen Minuten ertastete der Professor einen festen Gegenstand. Er zog daran, und zum Vorschein kam ein quadratisches Paket mit einer Seitenlänge von rund dreißig Zentimetern. Die Dicke betrug einige Zoll. Und es war schwer, sehr schwer. Neugierig enthüllte er den Gegenstand.
    Sein Blick fiel auf glänzendes Metall. Cuza hielt unwillkürlich den Atem an, als er ein Kreuz zu erkennen glaubte, doch bei genauerer Betrachtung bemerkte er die Unterschiede. Das Kreuz hatte dieselbe Form wie die vielen anderen in den Mauern der Feste – das Original, das anderen als Vorlage gedient hatte. Der vertikale Schaft war gerundet, fast zylindrisch, und er schien aus massivem Gold zu bestehen. Am oberen Ende war eine Öffnung. Das Querstück schimmerte silbern.
    Molasars Talisman, die Quelle seiner Macht. Ehrfurcht erfüllte den Professor. Er spürte die Kraft, die das Kreuz ausstrahlte: Seine Hände und Arme prickelten. Als er das Kreuz aufhob, fiel ihm ein seltsames Glitzern auf, das von dem Metall auszugehen schien. Oder war es nur die Reflexi on, hervorgerufen vom Licht der Taschenlampe?
    »Ich habe den Talisman gefunden!«
    Er konnte Molasar nicht sehen, aber die Leichen wichen zurück, als er den kreuzartigen Gegenstand über den Kopf hob.
    »Molasar! Hörst du mich?«
    »Ja.« Die Stimme kam aus dem Tunnel. »Meine Macht ruht nun in deinen Händen. Hüte sie sorgfältig, bis du sie an einem sicheren Ort versteckt hast.«
    Der Professor nickte aufgeregt.
    »Wann soll ich aufbrechen?«
    »Sobald ich alle Deutschen getötet habe. Sie müssen nun dafür büßen, daß sie in mein Heim eingedrungen sind.«
     
    Jemand klopfte an die Tür, und der Sturmbannführer hörte seinen Namen. Feldwebel Osters Stimme – sie klang fast hysterisch. Kämpffer war nicht bereit, irgendein Risiko einzugehen. Er schlug die Decke zurück und griff nach der Luger.
    »Wer ist da?« antwortete er betont verärgert. Zum zweitenmal in dieser Nacht wurde er gestört: zuerst der nutzlose Ausflug mit dem Juden, und jetzt dies. Er warf einen raschen Blick auf seine Uhr: fast vier! Es dauerte nicht mehr lange bis zum Morgengrauen.
    »Ich bin’s, Feldwebel Oster.«
    »Was wollen Sie um diese Zeit von mir?« erwiderte Kämpffer und öffnete die Tür. Das Entsetzen im Gesicht des Soldaten machte ihm sofort klar, daß etwas Schreckliches geschehen war.
    »Der Major, Herr Sturmbannführer … Major Wörmann …«
    »Ist er … tot?« Wörmann? Ermordet? Ein Offizier?
    »Er hat sich selbst umgebracht, Herr Sturmbannführer.«
    Kämpffer starrte den Feldwebel an und rang um seine Fassung.
    »Warten Sie hier.« Er schloß die Tür, zog sich hastig an und verließ sein Quartier. »Bringen Sie mich zu ihm.«
    Als er Oster durch die Feste folgte, vorbei an den Resten eingerissener Mauern, verwandelte sich Kämpffers Überraschung in bestürzte Verwirrung. Wörmann sollte Selbstmord begangen haben? Das sah ihm überhaupt nicht ähnlich. Menschen veränderten sich, aber der junge Mann, der im letzten Krieg ganz allein eine britische Kompanie aufgehalten und dabei enormen Mut bewiesen hatte, würde sich bestimmt nicht dazu hinreißen lassen, den Freitod zu wählen.
    Und doch … Wörmann war tot. Der einzige Mann, der mit dem Finger auf Kämpffer zeigen und »Feigling!« sagen konnte, lebte nicht mehr. Trotz seiner Sorge empfand der SS-Offizier so etwas wie Genugtuung. Er dachte an den Missionsbericht, den er schließlich dem Oberkommando übermitteln wollte: Major Klaus Wörmann, Selbstmord.

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