Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell
Mörder ist: Er versucht uns Angst einzujagen, und bisher hatte er mit dieser Taktik ziemlichen Erfolg. Wir gehen folgendermaßen vor: Heute nacht werden alle Angehörigen dieser Truppe Wache halten, auch ich selbst. Die einzelnen Patrouillen bestehen aus jeweils zwei Männern, die ständig zusammenbleiben müssen. Wir kontrollieren diese verdammte Feste so sehr, daß nicht einmal eine Motte unbemerkt fortfliegen kann!«
»Aber solche Maßnahmen können wir nicht jede Nacht ergreifen!«
»Nein, das nicht. Aber heute abend schon. Und morgen, wenn’s nötig ist. Bestimmt fassen wir den Mörder.«
Osters Gesicht erhellte sich. »Jawohl, Herr Major!«
»Da wäre noch etwas, Feldwebel«, sagte Wörmann, als Oster zur Tür ging.
»Herr Major?«
»Hatten Sie irgendwelche Alpträume, seit wir uns hier einquartiert haben?«
Der jüngere Mann runzelte die Stirn. »Nein, eigentlich nicht.«
»Und die Soldaten?«
»Mir kamen keine entsprechenden Klagen zu Ohren, Herr Major. Leiden Sie an üblen Träumen?«
»Nein.« Wörmann entließ den Feldwebel mit einem Wink.
Nein, keine Alpträume, dachte er. Aber die Tage sind schon schlimm genug.
»Ich erstatte Ploeşti Bericht«, brummte Oster und verließ das Zimmer.
Wörmann fragte sich, ob der Garnisonskommandant auf die Meldung eines fünften Todesfalls reagieren würde. Die Berichte erwähnten jeweils einen Toten in vierundzwanzig Stunden, aber trotzdem bot Ploeşti keine Hilfe an – von einem Befehl, die Feste zu räumen, ganz zu schweigen.
Der Offizier richtete den Blick wieder auf die Leinwand, er mußte jedoch feststellen, daß sich das Licht inzwischen geändert hatte. Gedankenverloren reinigte er die Pinsel und gestand sich ein, daß er nicht damit rechnete, den unbekannten Mörder in der kommenden Nacht tatsächlich zu fassen. Dennoch hielt er an seiner Entscheidung fest. Wenn alle auf den Beinen blieben und keiner allein überrascht werden konnte – vielleicht fand dann niemand den Tod. Vielleicht begann dann der nächste Tag, ohne daß sie eine sechste Leiche in den Keller bringen mußten.
Wörmann erstarrte förmlich, als ihm ein gräßlicher Ge danke kam. Und wenn der Mörder zu meiner eigenen Trup pe gehört?
Montag, 28. April
Mitternacht verstrich, ohne daß irgend etwas geschah. Feldwebel Oster hatte einen Kontrollpunkt eingerichtet, mitten auf dem Hof, und bisher wurden keine Zwischenfälle gemeldet. Die zusätzlichen Glühbirnen auf dem kleinen Platz und am Turm stärkten die Zuversicht der Soldaten, obwohl das Licht lange Schatten projizierte. Es war eine drastische Maßnahme, alle Männer für den Wachdienst einzuteilen, aber offenbar führte sie zum gewünschten Erfolg.
Wörmann lehnte sich aus dem Fenster seines Quartiers und beobachtete den Hof. Er sah Oster an seinem Tisch, uniformierte Gestalten, die jeweils zu zweit an den Mauern entlanggingen. Hinter den geparkten Fahrzeugen brummten die Generatoren.
Die Lichtkegel zusätzlicher Scheinwerfer glitten über den steilen Felshang hinter dem Kastell: Auch von oben konnte sich niemand unbemerkt nähern.
Nach einer Weile begriff Wörmann, daß er der einzige Mann in der ganzen Feste war, der keinen Begleiter hatte. Er drehte sich kurz um und starrte mit vager Besorgnis durch das halbdunkle Zimmer. Nichts regte sich in den Schatten.
Er schob wieder den Kopf durchs Fenster und sah nach unten, bemerkte dabei einen dunkler werdenden Bereich neben dem Turm und der südlichen Wand. Das Licht der dort hängenden Glühbirne trübte sich und verblaßte schließlich ganz. Zunächst vermutete Wörmann einen Kabeldefekt, doch in dem Fall hätte das Licht auch anderenorts erlöschen müssen. Also eine durchgebrannte Birne. Seltsam. Normalerweise blitzen sie kurz auf und werden dann schlagartig dunkel.
Einer der Wächter an der Südmauer war ebenfalls darauf aufmerksam geworden und kam näher, um nachzusehen. Wörmann fühlte sich versucht, ihn darauf hinzuweisen, sich nicht von seinem Partner zu trennen, aber er schwieg. Der andere Wachtposten stand nur ein paar Meter entfernt und konnte jederzeit eingreifen, falls es notwendig werden sollte.
Der Soldat verschwand im schwarzen Schatten. Nach et wa fünfzehn Sekunden wandte Wörmann den Blick ab, drehte jedoch wieder den Kopf, als er ein ersticktes Gurgeln vernahm, gefolgt von metallenem Scheppern – eine Waffe fiel auf den steinernen Boden.
Bei diesem Geräusch zuckte er unwillkürlich zusammen und spürte, wie seine Hände feucht wurden.
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