Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell
Vorbei an Sardinien, über das blau schimmernde Wasser zwischen Sizilien und der Küste von Tunesien; dann nach Norden, in Richtung Kreta. Etwas später die Kykladen, die griechische Ägäis. Schließlich die Dardanellen.
Ja, bedauerlich.
Der Rothaarige sah, wie die Klinge kurz aufblitzte, als sie zum Zustoßen gehoben wurde. Ruckartig hob er die linke Hand und umfaßte den Unterarm seines Gegners, bevor sich das Messer in seine Brust bohren konnte. Mit der Rechten hielt er die freie Hand des Bootseigners fest.
»Warum, Carlos?«
»Geben Sie mir das Gold!« zischte der Mann.
»Wenn Sie gefragt hätten, wäre ich vielleicht bereit gewesen, Ihnen mehr zu zahlen. Warum wollen Sie mich töten?«
Carlos spürte die Kraft seines Passagiers und versuchte es mit einer anderen Taktik. »Es ging mir nur darum, den Gürtel loszuschneiden. Ohne Sie zu verletzen.«
»Ich trage den Gürtel an der Taille. Das Messer zielt auf meine Brust.«
»Es ist ziemlich dunkel hier drin.«
» So dunkel eigentlich nicht. Aber wie dem auch sei …« Der Rothaarige lockerte seinen Griff. »Wieviel mehr verlangen Sie?«
Carlos riß sich los, stieß mit dem Dolch zu und knurrte: »Alles!«
Erneut schlossen sich die Hände des rothaarigen Mannes um die Unterarme des Kapitäns, bevor die Klinge das Ziel traf. »Es tut mir leid, daß Sie nicht vernünftiger sind. Die Konsequenzen haben Sie sich selbst zuzuschreiben, Carlos.«
Mit langsamer Unerbittlichkeit drehte er die Messerhand nach innen, bis die Spitze des Dolches auf die Brust des Bootseigners wies. Gelenke und Sehnen knackten, als sie unter der enormen Belastung nachgaben. Carlos ächzte vor Schmerz und Angst und versuchte vergeblich, sich aus dem gnadenlosen Griff zu befreien. Knochen splitterten mit einem deutlich hörbaren Knirschen, und die Klinge zielte nun direkt aufs Herz.
»Nein! Bitte … nein !«
»Ich habe Ihnen eine Chance gegeben, Carlos.« Die Stimme des Rothaarigen klang wie die eines Richters, der ein Todesurteil verkündete. »Sie hätten sie nutzen sollen.«
Ein Schrei erklang – und brach abrupt ab, als der Dolch das Herz durchstieß. Der Körper des Bootseigners versteifte sich kurz und erschlaffte dann. Der Rothaarige ließ die Leiche zu Boden sinken.
Einige Sekunden lang blieb er still liegen und lauschte dem dumpfen Pochen seines Pulsschlags. Er versuchte, Reue zu empfinden, aber in seinem Innern blieb alles ruhig. Es war schon lange her, daß er jemanden getötet hatte, und es überraschte ihn, daß er überhaupt nichts fühlte und nur an das Gelingen seiner Mission dachte.
Er stand auf, nahm den langen, flachen Kasten, verließ die Kabine und ging zum Ruder. Die Motoren brummten leise vor sich hin. Der rothaarige Mann schob die Beschleunigungsregler ganz nach vorn.
Die Dardanellen. Er hatte die Meerenge schon einmal passiert, aber nie während eines Krieges und nicht in der Nacht und mit voller Geschwindigkeit. Sternenlicht spiegel te sich auf dem Wasser und verwandelte die glatte Oberfläche in Silber. Rechts und links zeigte sich das Land als dunkle Linien. Dies war eine der engsten Stellen – die Breite der Meeresstraße betrug hier kaum mehr als anderthalb Kilometer. Der Rothaarige hütete sich davor, die Lichter einzuschalten; er verließ sich auf den Kompaß und seinen Instinkt.
Er wußte nicht, was ihn in diesen Gewässern erwartete. Die Radiomeldungen behaupteten, Griechenland hätte kapituliert. Vielleicht stimmte das, vielleicht auch nicht. Möglicherweise gab es im Bereich der Dardanellen schon deutsche Stützpunkte, aber ebensogut konnten sich dort Briten oder Russen niedergelassen haben. Der Rothaarige mußte in jedem Fall vermeiden, mit jemandem zusammenzutreffen. Er hatte die Reise weder geplant noch vorbereitet und besaß keine Dokumente. Außerdem war die Zeit gegen ihn. Es ging ihm nur darum, so schnell wie möglich nach Rumänien zu gelangen.
Wenn er das Marmarameer erreichte, von dem er noch rund dreißig Kilometer entfernt war, bekam er größeren Manövrierspielraum – bis der Treibstoff zur Neige ging. In einem solchen Fall blieb ihm nichts anderes übrig, als das Ufer anzulaufen und zu versuchen, das Schwarze Meer auf dem Landweg zu erreichen. Das kostete ihn wertvolle Zeit, aber leider gab es keine andere Möglichkeit. Selbst mit gefüllten Tanks durfte er nicht wagen, den Bosporus zu durchqueren. Dort wimmelte es von Russen.
Er bewegte den Beschleunigungsregler und stellte betroffen fest, daß die Motoren bereits auf
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