Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell
sie die Karten. »Heutzutage kommen nur noch wenige meiner früheren Kunden. Seit ich das Schild abnehmen mußte, bin ich die meiste Zeit allein.«
Magda wußte, was die alte Frau meinte: das Hinweiszei chen mit der Aufschrift »Doamna Josefa: Wahrsagerin«. Es fehlte ebenso wie das Handliniendiagramm im linken Fenster und das kabbalistische Symbol im rechten. Sie kann te auch den Grund dafür: Die Eiserne Garde hatte alle Zigeu nergruppen aufgefordert, an Ort und Stelle zu bleiben und die Bürger nicht zu »betrügen«.
»Also sind auch die Zigeuner in Ungnade gefallen«, murmelte Magda.
»Wir Roma hatten bei den Seßhaften und Herrschenden noch nie einen guten Ruf. Wir sind daran gewöhnt. Aber ihr Juden …« Sie schnalzte mit der Zunge und schüttelte den Kopf. »Uns sind schreckliche Dinge aus Polen zu Ohren gekommen.«
»Uns ebenfalls«, sagte Magda und unterdrückte ein Schaudern.
»Ich fürchte, es kommt bald noch schlimmer«, verkünde te Josefa.
»Vielleicht betrifft das nicht nur uns, sondern auch euch.« Magda verspürte eine plötzliche Feindseligkeit der alten Frau gegenüber. Das Leben wurde immer mehr zu einem Alptraum, und ihre einzige Schutzmöglichkeit bestand darin, das Unheil zu ignorieren. Die gräßlichen Gerüchte über das, was mit den Juden und den Zigeunern in ländlichen Regionen geschah, konnten, durften nicht der Wahrheit entsprechen: grausame Einsätze der Eisernen Garde, erzwungene Sterilisationen, Zwangsarbeit …
»Oh, ich mache mir keine Sorgen«, entgegnete Josefa. »Wenn man einen Zigeuner in zehn Stücke schneidet, bringt man ihn nicht etwa um, sondern schafft nur zehn neue Zigeuner.«
Magda zweifelte kaum daran, daß bei einem Juden das Ergebnis eine Leiche wäre. Einmal mehr versuchte sie, das Thema zu wechseln.
»Sind das Tarotkarten?« Sie kannte die Antwort bereits.
Josefa nickte. »Soll ich für dich in die Zukunft sehen?«
»Nein. Ich glaube nicht an solche Dinge.«
»Um ganz ehrlich zu sein: Oft halte auch ich nichts da von. Meistens verkünden die Karten überhaupt keine Botschaft, und dann improvisiere ich – so wie bei der Musik. Spielt das eine Rolle? Ich erzähle den Gadscho -Mädchen einfach, sie würden bald den ersehnten Gemahl finden. Und den Gad scho -Männern sage ich, ihre Arbeit trüge in Kürze die erhofften Früchte. Das kann man aber nur mit Nicht-Zigeunern machen.« Josefa zögerte. »Aber manchmal, nur manchmal, zeigen die Karten tatsächlich, was geschehen wird. Soll ich sie für dich legen?«
»Nein, danke.« Magda wollte gar nicht wissen, was die Zukunft für sie bereithielt.
»O bitte. Nimm die Wahrsagung als ein Geschenk von mir.«
Magda schwieg einige Sekunden lang. Sie hatte nicht die Absicht, Josefa zu beleidigen. Und außerdem hatte die alte Frau doch gerade darauf hingewiesen, daß die Karten normalerweise überhaupt nichts offenbarten. Vielleicht ließ sich die alte Frau eine nette Geschichte für sie einfallen.
»Na schön.«
Josefa legte das Kartenpäckchen auf den Tisch. »Heb ab.«
Magda kam der Aufforderung nach, und Josefa begann sofort damit, die ersten Karten zu legen.
»Wie geht’s deinem Vater?«
»Nicht besonders gut. Er kann kaum mehr stehen.«
»Das tut mir leid. Man findet nur selten einen Gadscho, der rokker kann. Yoskas Bär hat nichts gegen seinen Rheu matismus ausrichten können?«
Magda schüttelte den Kopf. »Nein. Er leidet nicht nur an Rheumatismus. Seine Krankheit ist viel schlimmer.« Magdas Vater hatte mit allen Mitteln versucht, etwas gegen die Deformierung seiner Gliedmaßen zu unternehmen und es sogar zugelassen, daß der dressierte Bär von Josefas Enkel auf seinem Rücken umherspazierte – eine uralte Zigeunertherapie, die sich als ebenso wirkungslos erwies wie die »Wunder« der modernen medizinischen Wissenschaft.
»Ein guter Mann«, sagte Josefa. »Wirklich bedauerlich, daß man jemanden, der dieses Land so gut kennt, daran … hindert, es weiterhin … zu … bereisen …« Sie brach ab und runzelte die Stirn.
»Stimmt was nicht?« fragte Magda. »Ist alles in Ordnung mit dir?«
»Hmm? O ja. Ich fühle mich wohl. Es sind nur die Tarotkarten. Noch nie zuvor habe ich so etwas gesehen. Die neutralen Karten liegen verstreut, doch diejenigen, die sich gut deuten lassen …« Sie zeigte auf den entsprechenden Bereich. »Sie liegen alle auf einer Seite. Und auf der anderen befinden sich die unheilvollen Omen.«
»Was bedeutet das?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht kann uns Yoska
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