Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell
wie der greisenhaft wirkende Mann in der Bukarester Wohnung am Fenster hockte und stumm nach draußen starrte. Jetzt verdrängte Neugier die trübselige Niedergeschlagenheit. Magda beobachtete, wie er sich die Brille zurechtrückte und im De Vermis Mysteriis las. Und dabei fiel ihr etwas ein.
»Warum hast du nichts von deiner Theorie erzählt?« frag te sie.
»Wie?« Theodor Cuza hob den Kopf. »Was meinst du?«
»Du hast behauptet, nicht an Vampire zu glauben, aber das entspricht nicht ganz der Wahrheit, oder?«
»Nun … Ich bin nach wie vor davon überzeugt, daß es einen echten Vampir gab, auf den sich viele rumänische Sagen beziehen. Es gibt konkrete historische Anzeichen, aber keinen eindeutigen Beweis. Und ohne Beweise kann ich keine Behauptungen aufstellen. Aus dem gleichen Grund habe ich den Deutschen gegenüber nichts davon erwähnt.«
»Es sind keine Gelehrten.«
»Nein, das nicht. Aber sie sehen in mir einen belesenen alten Mann, der ihnen helfen könnte. Wenn ich ihnen von meiner Theorie erzählt hätte, wären sie vielleicht zu dem Schluß gekommen, ich sei ein übergeschnappter alter Jude und nutzlos. Bei den Nazis haben ›nutzlose Juden‹ eine ziemlich geringe Lebenserwartung.«
Magda preßte kurz die Lippen zusammen. Über solche Dinge wollte sie nicht sprechen. »Glaubst du wirklich, daß diese Feste einst …«
»Einem Vampir als Heim gedient hat?« Die steifen Schul tern des Professors hoben und senkten sich andeutungswei se. »Gibt es überhaupt eine einigermaßen zutreffende Definition für den Begriff ›Vampir‹? Oh, natürlich, man erzählt sich viele Sagen und Legenden über sie, aber wer weiß schon, wo die Wirklichkeit endet – vorausgesetzt, in diesem Zusammenhang existieren überhaupt irgendwelche realen Aspekte – und der Mythos beginnt? Andererseits: In Transsylvanien und an der Moldau erzählt man sich Dutzende von Vampirgeschichten, und du weißt ja, daß solche Dinge einen wahren Kern haben.«
Das Gesicht des Professors blieb ausdruckslos, doch seine Augen glühten. »Außerdem brauche ich wohl kaum extra darauf hinzuweisen, daß in diesem Kastell etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Allein die Bücher sind ein deutlicher Hinweis auf das Unheil. Hinzu kommen die Worte an der Wand … Vielleicht wurden sie von einem Menschen geschrieben, von einem Wahnsinnigen. Aber vielleicht stammen sie von einem Moroi , einem Untoten.«
»Hältst du das wirklich für möglich?« fragte Magda bestürzt.
»Ich weiß es nicht. Die Vernunft weigert sich, so etwas in Erwägung zu ziehen. Aber der Instinkt, das Gefühl … Ich spüre etwas. Und du ebenfalls, nicht wahr?«
Die junge Frau nickte langsam und widerstrebend.
Der alte Mann rieb sich die Augen. »Ich kann nicht mehr lesen.«
Magda deutete auf die Decke am Feuer. »Komm, ich hel fe dir.«
»Nein, noch nicht. Ich bin viel zu aufgeregt, um jetzt ans Schlafen zu denken. Ich …« Er brach plötzlich ab und runzelte die Stirn.
Magda sah sich um. Im Zimmer schien es nicht mehr ganz so hell zu sein wie noch vor wenigen Sekunden. Argwöhnisch betrachtete sie die Glühbirne: Ihr Licht trübte sich langsam.
»Das Feuer …«, hauchte sie. »Sieh nur die Flammen!«
Sie wurden kleiner und schienen in die verkohlenden Holzscheite zurückweichen zu wollen. Dunkelheit kroch aus den Ecken des Raums heran – eine Finsternis, die mehr war als nur die Abwesenheit von Licht. Magda fröstelte in einer jähen Kälte, die Vorstellungen von Verfall und Gräbern weckte.
»Was hat das zu bedeuten?« fragte sie halblaut.
»Er kommt! Schnell, Magda, zu mir!«
Sie handelte aus einem Reflex heraus, stellte sich neben den Mann im Rollstuhl und versuchte, ihn mit ihrem Körper zu schützen. Zitternd ging sie in die Hocke und griff nach den knochigen, deformierten Händen ihres Vaters.
»Was sollen wir jetzt tun?« raunte sie.
»Ich weiß es nicht.« Auch Theodor Cuza flüsterte.
Die Schatten verdichteten sich und verschluckten die Mauern. Das Licht der Glühbirne verblaßte, und nur das matte Glühen der Kohlen blieb sichtbar.
Sie waren nicht allein. Irgend etwas bewegte sich in der Dunkelheit und schlich näher. Etwas Unreines und Hungriges.
Wind kam auf. Von einem Augenblick zum anderen heulten eisige Böen durchs Zimmer, obwohl Tür und Fensterläden geschlossen waren.
Magda ließ die Hände ihres Vaters los und versuchte, sich von dem Schrecken zu befreien, der sie erfaßt hatte. Sie konnte die Tür nicht mehr sehen, wußte jedoch,
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