Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell
bestätigte damit etwas, was seine Tochter tief in ihrem Innern schon als unumstößliche Wahrheit erkannt hatte. »Ich …«
Theodor Cuza ließ zischend den Atem entweichen, als das Brennen in den Fingern begann. Kurz darauf ließen die ersten Schmerzen nach, und er fuhr stoßweise fort: »Ich ha be auf urslawisch mit ihm gesprochen … Ihm gesagt, wir seien keine Feinde … Ihn gebeten, uns in Ruhe zu lassen … Und daraufhin zog er sich zurück.«
Der greisenhafte Mann schnitt eine Grimasse und sah Magda mit funkelnden Augen an. Seine Stimme klang heiser und rauh, als er hinzufügte: » Er ist es! Ich bin ganz sicher!«
Magda schwieg. Sie wußte, daß ihr Vater recht hatte.
15. Kapitel
Die Feste
Mittwoch, 30. April • 06.22 Uhr
Es war Wörmann nicht gelungen, seine ursprüngliche Absicht in die Tat umzusetzen und die ganze Nacht über wach zu bleiben. Mit der schußbereiten Luger auf dem Schoß hatte er am Fenster Platz genommen und den Hof beobachtet, doch irgendwann waren ihm die Augen zugefallen.
Er erwachte ganz plötzlich und zwinkerte verwirrt. Einige Sekunden lang glaubte er, wieder in Rathenow bei seiner Familie zu sein. Helga, die in der Küche das Frühstück vorbereitete. Die Jungen, bereits aufgestanden und im Stall bei den Kühen.
Ein schöner Traum, weiter nichts.
Als er den hellen Himmel sah, sprang er mit einem Satz auf. Die Nacht war einem neuen Tag gewichen, und er lebte noch. Seine Erleichterung währte nicht lange: Bestimmt lag irgendwo im Kastell eine Leiche.
Er schob die Pistole ins Holster zurück, durchquerte das Zimmer und trat auf den Treppenabsatz. Stille. Langsam brachte Wörmann eine Stufe nach der anderen hinter sich und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Als er die erste Etage erreichte, öffnete sich eine Tür. Die Tochter des Professors verließ ihre Unterkunft.
Sie bemerkte ihn nicht. Sie trug einen großen Topf, und ihr Gesicht wirkte seltsam wächsern. Tief in Gedanken versunken passierte sie den Torbogen, wandte sich auf dem Hof nach rechts und hielt auf die Kellertreppe zu. Sie schien sich in der Feste auszukennen, und das weckte vages Mißtrauen in Wörmann, bis er sich daran erinnerte, daß sie die alte Festungsanlage häufig besucht hatte. Sie wußte von den Kellerzisternen, die frisches Wasser enthielten.
Der Major blieb auf dem kleinen Platz stehen und sah Magda nach. Die Szene war irgendwie unwirklich: eine junge Frau, die im Zwielicht der Dämmerung über ein uraltes Kopfsteinpflaster ging, umgeben von grauen Mauern mit Hunderten von Kreuzen; Nebelschwaden verschluckten sie. Sie bewegte sich mit einer natürlichen, angeborenen Eleganz und offenbarte unbewußten weiblichen Reiz.
Zu einem anderen Zeitpunkt und an einem anderen Ort wäre sie in großer Gefahr gewesen: Schon seit Monaten sehnten sich die Soldaten nach weiblicher Gesellschaft. Aber die Angst beherrschte ihr Denken und Fühlen; die Angst vor einem furchtbaren Tod ließ kaum Platz für sexuelle Phantasien.
Wörmann wollte Magda folgen und sich vergewissern, daß ihre Absicht wirklich nur darin bestand, Wasser zu holen. Er überlegte es sich jedoch anders, als er Feldwebel Oster sah, der auf ihn zueilte.
»Herr Major! Herr Major!«
Der Wehrmacht-Offizier seufzte und bereitete sich auf schlechte Nachrichten vor. »Wen hat’s diesmal erwischt?«
»Niemanden!« Oster hob die Appelliste. »Es fehlt kein einziger Mann. Alle sind gesund und munter!«
Wörmann erlaubte sich keinen Triumph, nur einen Hauch von Hoffnung.
»Sind Sie sicher? Absolut sicher?«
»Ja, Herr Major. Abgesehen vom Sturmbannführer. Und den beiden Juden.«
Wörmann sah zum rückwärtigen Bereich des Kastells und musterte das Fenster von Kämpffers Quartier. War es möglich, daß …
»Ich wollte die Offiziere zuletzt überprüfen«, fügte Oster in einem entschuldigenden Tonfall hinzu.
Wörmann nickte. Er hörte gar nicht richtig hin. Erich Kämpffer – das Opfer der vergangenen Nacht? Es wäre zu schön, um wahr zu sein. Er gab sich einen Ruck und ging über den Hof. Oster schloß sich ihm an und fragte: »Glauben Sie, daß die Juden dafür verantwortlich sind?«
»Wofür?«
»Daß heute nacht niemand umgebracht wurde.«
Wörmann verharrte wieder, sah erst den Feldwebel an und hob dann den Blick zu Kämpffers Fenster. Offenbar zweifelte Oster nicht daran, daß der Sturmbannführer noch lebte.
»Warum stellen Sie mir eine solche Frage? Was hätten die Juden unternehmen können, um den unbekannten Mörder
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