Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell
ziehen. Aber offensichtlich hatte er seinen Stolz. Er bat nicht um Hilfe, weder mit Blicken noch mit Worten.
Der Wehrmacht-Major bemerkte ein dünnes Lächeln auf Kämpffers Lippen – und hätte ihm dafür am liebsten die Faust in die Seite gerammt. Er beherrschte sich jedoch und beobachtete statt dessen, wie sich Cuza anstrengte. Der greisenhafte Mann stöhnte leise, als er seinem ausgemergelten Leib alles abverlangte, den Schmerzen widerstand und sich auf das Kissen des Rollstuhls schob. Schweißperlen perlten auf seiner faltigen Stirn.
»Was wollen Sie von mir?« fragte der Professor schließlich und schnappte nach Luft. Sein betont höfliches Gebaren war wie weggewischt. Er schien viel zu erschöpft zu sein.
»Was haben Sie gestern abend in Erfahrung gebracht, Ju de?« fragte Kämpffer.
Der Professor lehnte sich schwer atmend zurück und schloß für einige Sekunden die Augen. Dann öffnete er sie wieder und musterte den Sturmbannführer zwinkernd. Ohne seine Brille war er fast blind.
»Nicht viel. Es gibt Hinweise darauf, daß die Feste von einem Lehensherrn und Fürsten errichtet wurde, der zur Zeit von Vlad Tepes lebte.«
»Das ist alles? Mehr Informationen können Sie uns nicht anbieten? Obgleich Sie schon seit zwei Tagen in den Bü chern herumstöbern?«
»Seit einem Tag, Sturmbannführer«, erwiderte der Professor, und Wörmann bemerkte eine gewisse Schärfe in seiner Stimme. »Seit einem Tag und zwei Nächten. Das ist nicht viel, wenn man bedenkt, daß die Schriften in fremden Sprachen verfaßt sind.«
»Ich will keine Entschuldigungen von Ihnen hören, Jude. Ich verlange Resultate!«
»Und haben Sie noch keine bekommen?« Cuzas Züge zeigten wachsames Interesse, als er auf die Antwort wartete.
Kämpffer straffte die Schultern und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. »Auch in der vergangenen Nacht ist niemand umgekommen, aber ich bezweifle, daß wir das Ihnen zu verdanken haben.« Er drehte den Kopf und bedachte Wörmann mit einem durchdringenden Blick. »Allem Anschein nach ist meine Mission hier beendet. Nun, um ganz sicher zu sein, bleibe ich noch eine Nacht, bevor ich mit meinen Männern aufbreche.«
»Oh, wir dürfen Ihre Gegenwart also noch bis morgen genießen?« fragte Wörmann und spürte, wie wilde Freude in ihm entstand. »Womit haben wir nur eine solche Großzügigkeit verdient!« Eine einzige Nacht lang konnte er alles ertragen – sogar die Anwesenheit des SS-Offiziers.
»Ich sehe keinen Grund, warum Sie bis morgen warten sollten, Herr Sturmbannführer«, warf Cuza ein. Seine Miene erhellte sich. »Ich bin sicher, andere Länder brauchen Ihre Dienste weitaus dringender als wir.«
Kämpffer lächelte spöttisch. »Sie irren sich, wenn Sie glauben, daß ich Rumänien verlasse, Jude. Ich fahre nach Ploeşti.«
»Nach Ploeşti? Warum?«
»Das werden Sie noch früh genug erfahren.« Kämpffer wandte sich an Wörmann. »Ich mache mich beim ersten Tageslicht auf den Weg.«
»Und ich verspreche Ihnen, daß ich persönlich das Tor für Sie öffne.«
Kämpffer warf ihm einen zornigen Blick zu und marschierte nach draußen. Wörmann sah ihm nach, davon überzeugt, daß ihr Problem noch immer nicht gelöst war. Aus irgendeinem Grund hatte der unbekannte Mörder zwei Nächte nicht zugeschlagen, aber vielleicht forderte er schon bald neue Opfer.
»Was meinte er mit dem Hinweis auf Ploeşti ?« fragte Cuza.
»Die Antwort würde Ihnen nicht gefallen.« Wörmann betrachtete das hohlwangige Gesicht des alten Mannes und starrte dann auf die Bücher. Das silberne Kreuz, das er dem Professor gestern gegeben hatte, lag neben seiner Brille.
»Bitte sagen Sie es mir, Herr Major. Was hat der Sturmbannführer in Ploeşti vor?«
Wörmann ignorierte die Frage. Cuza hatte bereits genug Probleme. Wenn er ihm erzählte, daß Kämpffer ein rumänisches Gegenstück von Auschwitz schaffen wollte, erlitt er vielleicht einen Nervenzusammenbruch. »Sie können heute Ihre Tochter besuchen, wenn Sie möchten. Aber dazu müssen Sie ins Dorf. Magda darf nicht hierher zurückkommen.«
Er deutete auf das Kreuz. »Hat es Ihnen irgend etwas genützt?«
Cuza richtete seinen Blick kurz auf den silbernen Gegenstand und drehte den Kopf dann ruckartig zur Seite. »Nein. Überhaupt nichts.«
»Soll ich es mitnehmen?«
»Was? Nein! Nein … Vielleicht kann ich es doch noch irgendwie gebrauchen.«
Die heftige Reaktion des Professors überraschte Wör mann. Er hat sich seit gestern abend verändert.
Der Major
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