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Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell

Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell

Titel: Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Paul Wilson
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Morgen.
    Der Professor saß am Tisch. Links bildeten die alten Bücher einen hohen Stapel, und rechts befand sich ein Kästchen mit all den Mitteln, von denen die Überlieferungen be haupten, sie hätten eine abschreckende Wirkung auf Vampi re. Direkt vor ihm stand ein Becher mit Wasser. Das einzige Licht stammte von der Glühbirne, es war still bis auf Theodor Cuzas schwere Atemzüge.
    Ganz plötzlich wußte er, daß er nicht mehr allein war.
    Er sah nichts, fühlte nur eine unheilvolle Präsenz in der sich verdichtenden Dunkelheit, ein Etwas , das sich kaum beschreiben ließ. Es war einfach da . Gleichzeitig spürte der alte Mann einen Unterschied. In der vergangenen Nacht hatte sich die Finsternis als Teil der Atmosphäre im Zimmer dargeboten und sich in der Luft ausgebreitet, ohne aus einer bestimmten Richtung zu kommen. Jetzt kroch sie wie zögernd heran, sickerte durch die Wände, verschleierte ihre Konturen und näherte sich ihm langsam.
    Cuza preßte die behandschuhten Hände auf den Tisch und fühlte, wie sich sein Pulsschlag jäh beschleunigte. Sein Herz klopfte so heftig, als wolle es ihm die Brust zerreißen.
    Die Mauern existierten nicht mehr. Dunkelheit umwogte den Professor und verschlang das Licht der Glühbirne. Es war kalt, aber nicht ganz so kalt wie in der letzten Nacht. Und es wehte kein Wind.
    »Wo bist du?« fragte er auf urslawisch.
    Keine Antwort. In der Schwärze wartete etwas und beobachtete ihn.
    »Bitte zeig dich.«
    Einige Sekunden lang geschah nichts, und dann ertönte eine dumpfe, grollende Stimme.
    »Ich beherrsche auch eine moderne Form unserer Spra che.«
     Der Professor erkannte eine frühe Version des Dakoru mänischen, gebräuchlich zu der Zeit, als die Feste errichtet wurde.
    Die Dunkelheit auf der anderen Seite des Tisches wich zurück, und eine schemenhafte Gestalt wurde erkennbar. Cuza erkannte sofort das Gesicht und die Augen wieder und betrachtete dann den Körper. Ein hochgewachsenes Wesen, mehr als zwei Meter groß, die Schultern waren muskulös und breit. Stolz und wie herausfordernd stand es im Zimmer, die Hände an die Hüften gestemmt. Der mit einer goldenen Spange am Hals befestigte Mantel – so schwarz wie das Haar und die Pupillen – reichte bis zum Boden. Darunter sah Cuza ein weites Hemd aus roter Seide, eine dunkle Hose und hohe Stiefel aus braunem Leder.
    Das Geschöpf strahlte Macht und bösartige Unbarmherzigkeit aus.
    »Woher kennst du meine Sprache?« fragte eine dumpfe Grabesstimme.
    »Ich … ich habe sie gelernt, um die alten Schriften zu lesen«, stammelte der Professor. Eine seltsame Leere entstand in ihm. All die Fragen, die er sich im Laufe des Tages überlegt hatte – plötzlich spielten sie keine Rolle mehr. »Wer … wer bist du?«
    »Ich bin Vicomte Radu Molasar. Dieses Gebiet gehörte einst mir.«
    »Das ist ein Fürstentitel, nicht wahr?«
    »Ja. Ich gehörte zu den wenigen Lehensherrn, die Vlad treu blieben, jenem Herrscher, den man Vlad Tepes , den Pfähler, nannte. Bis er in der Nähe von Bukarest ums Leben kam.«
    Cuza hatte zwar mit einer solchen Antwort gerechnet, aber die Auskunft schockierte ihn dennoch. »Das war im Jahre 1476! Seitdem sind fast fünf Jahrhunderte vergangen! Bist du so alt?«
    »Ja.«
    »Und wo hast du die letzten fünfhundert Jahre verbracht?«
    »Hier.«
    »Aber warum?« Cuzas Angst verflüchtigte sich allmählich und wich einem geradezu unstillbaren Wissensdurst.
    »Man stellte mir nach.«
    »Wer? Die Türken?«
    Molasar kniff die Augen zu schmalen, dunklen Schlitzen zusammen. »Nein, andere … Leute. Wahnsinnige, die fähig gewesen wären, mir durch die ganze Welt zu folgen, um mich zu töten. Ich wußte, daß ich ihnen nicht auf Dauer entkommen konnte …« Bei diesen Worten lächelte das Wesen und entblößte lange, gelbe und spitz zulaufende Zähne. »Deshalb beschloß ich, mich zu verbergen und einfach zu warten. Ich baute dieses Kastell und sorgte dafür, daß es instand gehalten wurde. Dann zog ich mich hierher zurück.«
    »Bist du …« Cuza stockte, bevor er die Frage ganz aussprach, die ihn seit vielen Stunden beschäftigte. »Bist du ein Untoter?«
    Das Lächeln wiederholte sich, wirkte aber diesmal spöttisch. »Ein Untoter? Ein Moroi ? Vielleicht.«
    »Aber wie …«
    Molasar winkte herrisch. » Genug ! Du beginnst mich zu langweilen. Deine Neugier ist mir gleich, ebenso wie du selbst – wenn nicht der Umstand wäre, daß du ein Landsmann bist und Fremde die Herrschaft über unsere Heimat

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