Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell
Magda: Verstehst du, was seine Existenz bedeutet? Wie viele Dinge dadurch verändert werden? Wir müssen unzählige traditionelle Vorstellungen völlig neu überdenken.«
Die junge Frau nickte langsam, als sie daran dachte, wel che Folgen sich aus der konkreten Präsenz Molasars ergaben. »Eine Form der Unsterblichkeit«, brachte sie leise hervor.
»Das ist noch längst nicht alles! Das Wesen repräsentiert eine neue Form des Lebens. Nein, halt, das stimmt nicht ganz. Es ist eine alte Form des Daseins – nur neu in bezug auf die bisherigen historischen und wissenschaftlichen Erkenntnisse. Und dann die Konsequenzen …« Der Professor schöpfte Atem. »Sie sind … verheerend.«
»Aber wie kann so etwas möglich sein?« Magda schüttel te den Kopf. »Wie?«
»Ich weiß es nicht. Es gibt noch viel zu lernen, und Molasar war nur kurze Zeit bei mir. Er ernährt sich vom Blut lebender Menschen – die Leichen der Soldaten sind ein deutlicher Hinweis darauf. Durch die aufgerissenen Kehlen hat er das Blut aus ihnen gesaugt. Gestern nacht habe ich festgestellte, daß Molasar kein Spiegelbild wirft – zumindest in dieser Hinsicht entsprechen die alten Vampirgeschichten der Wahrheit. Aber die angebliche Furcht vor Knoblauch und Silber ist völliger Unfug. Nun, er scheint ein Geschöpf der Nacht zu sein – bisher hat er sich nie am Tag gezeigt und immer während der Dunkelheit zugeschlagen. Allerdings bezweifle ich, ob er tagsüber in einem Sarg liegt.«
»Ein Vampir«, sagte Magda langsam. »Meine Güte, während wir hier im Sonnenschein sitzen, erscheint das alles so lächerlich …«
»War dir auch zum Lachen zumute, als seine Präsenz vorgestern abend das Licht in unserem Zimmer löschte? Als er dich berührte?«
Magda stand auf und rieb sich die Stelle über dem rechten Ellenbogen. Sie überlegte, ob sich dort noch immer der graue Fleck zeigte. Sie wandte sich von ihrem Vater ab und streifte den Ärmel hoch. Ja, eine narbenartige Verfärbung der Haut. Als sie den Stoff wieder herunterziehen wollte, bemerkte sie, daß sich die Graue langsam verflüchtigte und im Licht der Sonne eine normale Tönung gewann. Schließlich verschwand sie ganz.
Die junge Frau schauderte unwillkürlich und hielt sich an der Rückenlehne des Rollstuhls fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
Theodor Cuza starrte zur Feste und achtete gar nicht auf seine Tochter.
»Er ist irgendwo dort drin und wartet auf die Nacht«, sag te er leise. »Ich muß unbedingt noch einmal mit ihm sprechen.«
»Ist er wirklich ein Vampir, Vater? Kann er wirklich ein Lehensherr gewesen sein, der vor fünfhundert Jahren in den Diensten von Vlad Tepes stand? Woher sollen wir wissen, daß er uns nichts vormacht? Ist er in der Lage, seine Behauptungen zu beweisen?«
Arger vibrierte in der Stimme des alten Mannes, als er erwiderte: »Warum sollte er etwas beweisen? Kümmert es ihn vielleicht, was ich glaube? Er hat seine eigenen Pläne, und er glaubt, ich könne ihm dabei nützlich sein. Er sieht in mir einen Verbündeten gegen die Fremden.«
»Du darfst dich von ihm nicht ausnutzen lassen!« warf Magda ein.
»Und warum nicht? Wenn er jemanden braucht, der ihm gegen die deutschen Eindringlinge hilft … Ich wäre durchaus bereit, mich auf seine Seite zu stellen. Obwohl ich nicht weiß, welche Hilfe er von mir – einem Krüppel, wie er sich ausdrückte – erwartet. Deshalb habe ich den Nazis nichts gesagt.«
Magda spürte, daß er nicht nur Wörmann und Kämpffer Informationen vorenthielt: Auch ihr gegenüber war er nicht ganz offen und ehrlich. Und das erstaunte sie.
»Das kann doch nicht dein Ernst sein, Vater!«
»Molasar und ich, wir haben einen gemeinsamen Feind.«
»Mag sein, was die gegenwärtige Lage betrifft. Und später?«
Theodor Cuza überhörte die Frage seiner Tochter. »Und vergiß nicht seine enorme Bedeutung für meine Arbeit. Ich will alles über ihn herausfinden, und dazu muß ich noch einmal mit ihm reden. Es bleibt mir gar keine andere Wahl!« Sein Blick glitt zur Feste zurück. »Es hat sich vieles verändert … So viele Dinge müssen neu überdacht werden …«
Magda bemühte sich vergeblich, den Mann im Rollstuhl zu verstehen.
»Was belastet dich so sehr, Vater? Jahrelang hast du geglaubt, daß der Vampirmythos vielleicht einen wahren Kern hat. Du bist sogar das Risiko eingegangen, dich lächerlich zu machen. Jetzt sind deine Annahmen bestätigt worden, und doch wirkst du betroffen und bestürzt.«
»Begreifst du denn
Weitere Kostenlose Bücher