Widersacher-Zyklus 03 - Die Gabe
warum, weiß ich nicht –, aber ich ließ meinen Rechtsanwalt Tony DeMarco in der Vergangenheit von Erskine forschen. Tony fand heraus, dass er in Vietnam als Sanitäter gearbeitet hatte. Er kam vollkommen traumatisiert nach Hause. Dachte, er könnte Menschen heilen. Im Veteranen-Hospital wurde bei ihm paranoide Schizophrenie diagnostiziert. Er schloss sich einer fahrenden Gesundbeter-Show im Süden an, wurde aber während der Tournee rausgeschmissen, weil er niemanden heilte und niemals nüchtern war.«
»Alkohol bringt das Dat-tay-vao zum Schlafen«, sagte Ba.
Alan fragte sich, ob Erskine vielleicht darum zum Alkoholiker geworden war – um die Gabe zu unterdrücken.
»Offenkundig lebte er jahrelang auf der Straße, bis er aus irgendwelchen Gründen nach Monroe kam, mich fand, mir eine Art elektrischen Schock verpasste und starb. Wird so das Dat-tay-vao weitergegeben?«
Ba sagte: »Es tut mir leid, Doktor, aber das weiß ich nicht. Es heißt, der Buddha persönlich habe das Dat-tay-vao in unser Land gebracht.«
»Aber warum ich , Ba?« Alan wollte dringend eine Antwort auf diese Frage.
»Das kann ich nicht sagen, Doktor. Aber wie das Lied sagt: ›Es sucht den, der berührt, / Der Schmerz und Krankheit wegschneidet‹«
»›Sucht‹?« Alan behagte der Gedanke nicht, von dieser Macht ausgesucht worden zu sein. Er erinnerte sich an die Worte des Landstreichers: Sie! Sie sind derjenige! »Warum sollte es gerade mich auserwählen?«
Ba sagte einfach und mit Überzeugung. »Sie sind ein Heiler, Doktor. Das Dat-tay-vao erkennt alle Heiler.«
Alan sah Sylvia schaudern. »Hast du noch das Gedicht, Ba?« Der Fahrer reichte ihr ein zusammengefaltetes Blatt Papier, und Sylvia gab es an Alan weiter. »Hier.«
Alan las das Gedicht. Es war verwirrend und klang eher wie ein Rätsel als ein Lied. Er fand besonders eine Zeile beunruhigend.
»Ich bin nicht besonders glücklich über diese Stelle mit dem Gleichgewicht. Was bedeutet das?«
»Es tut mir leid, Doktor«, sagte Ba. »Ich weiß es nicht. Aber ich fürchte, es könnte bedeuten, dass die Gabe auch einen Preis hat.«
»Mir gefällt das nicht!«, sagte Sylvia.
»Mir auch nicht«, sagte Alan, dessen Unbehagen wuchs. »Aber bis jetzt bin ich noch gesund und ich habe auch kein Bild mit meinem verrottenden Antlitz im Keller stehen. Darum, denke ich, mache ich einfach mit dem weiter, was ich bisher gemacht habe – nur etwas diskreter.«
» Viel diskreter, hoffe ich«, sagte Sylvia. »Aber was haben Sie denn bisher gemacht?«
Alan warf einen Blick auf seine Uhr. Er hatte noch gute anderthalb Stunden Zeit, bis der erste Patient kam. Und es gab etwas sehr Wichtiges, was er mit Sylvia besprechen wollte.
»Das erzähle ich Ihnen beim Frühstück.«
Sylvia lächelte. »Abgemacht.«
19. Sylvia
Alan saß ihr gegenüber, schlürfte seine vierte Tasse Kaffee und war jetzt still. Ba hatte sich von ihnen verabschiedet, weil er einige Besorgungen zu machen hatte. Alan hatte sie zu diesem kleinen Restaurant in Glen Cove gefahren. Er schwor, hier gebe es die besten Bratkartoffeln von ganz Long Island.
Sie saßen in einer kleinen Nische im hinteren Teil des Speiseraums. Während er Rührei, Schinken, eine doppelte Portion der berühmten Bratkartoffeln und eine riesige Menge Kaffee verputzte, hatte Alan ununterbrochen darüber geredet, was er geleistet hatte, seit das Dat-tay-vao ihn gefunden hatte.
Sylvia hörte ihm staunend und ehrfürchtig zu. Wenn das alles wirklich stimmte … sie dachte einen Moment an Jeffy, verdrängte den Gedanken aber wieder. Wenn sie sich nur eine einzige Minute lang einer Hoffnung hingab …
Außerdem konnte sie einfach nicht glauben, dass alle Heilungen, die er beschrieb, wirklich geschehen waren, so sehr sie Alan auch respektierte und bewunderte. Dies war die wirkliche Welt. Ihre Welt. Und in ihrer Welt gab es keine Wunder.
»Gott, tut das gut, mit jemandem darüber reden zu können«, sagte er, als er sich über seine Tasse beugte.
»Aber Ihre Frau …?«
Er schüttelte den Kopf. In seinen Augen lag Schmerz. »Sie will nichts davon wissen. Sie ist wegen der Öffentlichkeit verängstigt.«
»Das sollte sie auch. Sie beide sollten es sein.«
»Ich komme damit schon klar.«
»Und Sie sollten auch darüber nachdenken, was Ba gesagt hat. Von wegen, wer bei dieser Gabe die Kontrolle hat.«
»Damit komme ich auch klar. Ich werde es einschränken, wann und wie ich es verwende. Machen Sie sich keine Sorgen. Ich kann es
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