Widersacher-Zyklus 03 - Die Gabe
sich, wie sie das Thema gegenüber Alan anschneiden sollte. Gestern Abend hatte sie beinahe akzeptiert, was Ba über diese heilende Berührung, dieses Dat-tay-vao, wie er es nannte, gesagt hatte.
Jetzt, wo die Sonne an diesem herrlichen Frühlingsmorgen durch das Blätterdach der Allee funkelte, die sie gerade entlangfuhren, kam es ihr grotesk vor. Aber trotzdem wollte sie ihre Entscheidung, mit Alan zu reden, um Bas Warnung weiterzugeben, in die Tat umsetzen. Das zumindest war sie ihm schuldig.
Sie erreichten die Praxis, aber Alan bog nicht auf den Parkplatz ein. Sie sah seinen Wagen kurz langsamer werden, dann nahm er wieder Geschwindigkeit auf. Auf dem Parkplatz standen zwei Limousinen und ein Kombi und ein Mann saß auf den Eingangsstufen.
»Soll ich ihm folgen, Missus?«, fragte Ba, als er den Wagen abbremste.
Sylvia zögerte. Er fuhr nicht zum Krankenhaus – das war die andere Richtung. »Ja. Mal sehen, wohin er fährt. Vielleicht haben wir trotzdem eine Gelegenheit, mit ihm zu sprechen.«
Sie brauchten nicht weit zu fahren. Er bog in den Tall-Oaks-Friedhof ein. Ba hielt am Tor und wartete.
Sylvia saß angespannt und schweigsam da, während unsichtbare Eisfinger sich um ihren Magen legten.
»Fahr weiter«, sagte sie schließlich.
Ba lenkte den Graham durch das Friedhofstor und folgte der sich dahinschlängelnden Asphaltspur zwischen den Bäumen hindurch. Sie fanden Alans Auto mitten auf dem Friedhof am Wegesrand geparkt. Sylvia erspähte ihn etwas weiter weg, im Gras einer kleinen Anhöhe kniend.
Verwirrt beobachtete sie ihn einen Moment lang. Sie wusste nicht viel über seine Vergangenheit, aber es war ihr bekannt, dass er nicht aus dieser Gegend kam und hier keine Familie hatte. Spontan stieg sie aus dem Wagen und ging auf ihn zu.
Sie kannte Tall Oaks gut. Zu gut. Es war einer dieser modernen Friedhöfe, auf denen keine aufrecht stehenden Grabsteine zugelassen sind. Statt Grabsteinen gab es nur flache, in den Boden eingesetzte Plaketten, um die Pflege der Anlage zu erleichtern. Die Zeit der altmodischen gruseligen Friedhöfe, mit Mausoleen und verwitterten, abgesackten Grabsteinen, war vorbei. Stattdessen gab es nun dieses offene, mit Gras bedeckte und von Bäumen gesäumte Feld.
Sie schritt von hinten auf Alan zu. Der Boden um ihn herum war mit aufgerissenen bunten Pappschachteln und Blisterpackungen bedeckt. Als sie sah, was er da machte, blieb sie bestürzt stehen.
Er stellte kleine Plastikspielzeugfiguren entlang den Ecken einer Grabsteintafel auf.
Sie trat näher heran, um die Inschrift des Grabsteins zu lesen:
THOMAS WARREN BULMER
Tommy, den wir kaum kannten
Ihre Kehle zog sich zusammen. Sie machte noch einen Schritt voran, um die Daten unten auf der Bronzetafel zu sehen. Das Geburtsdatum war heute vor acht Jahren. Sie hielt unfreiwillig den Atem an, als sie sah, dass der Todestag nur drei Monate später war.
Oh Gott! Das wusste ich nicht!
Voller Schuldgefühle und Verlegenheit, dass sie ihn in diesem Moment gestört hatte, drehte sie sich hastig um und machte sich daran, die Anhöhe hinunterzulaufen.
»Gehen Sie nicht«, sagte er.
Sylvia hielt an und wandte sich um. Er kniete immer noch, aber sah jetzt zu ihr auf. Seine Augen waren trocken, und er lächelte.
»Kommen Sie und gratulieren Sie Tommy zum Geburtstag.«
Sie ging zurück und stellte sich neben ihn, während er die Spielzeugverpackungen zusammensuchte.
»Das wusste ich nicht.«
»Woher sollten Sie auch.« Er stand auf und begutachtete die Figuren, die er auf das Grab gestellt hatte. »Wie sieht es aus?«
»Großartig.« Sie wusste nicht, was sie sonst hätte sagen sollen.
»Nun, es wird nicht lange halten. Einer der Friedhofswärter wird sie für seine Kinder mitgehen lassen. Aber das ist in Ordnung. Besser so, als dass sie von den Rasenmähern zermalmt werden. Zumindest einer wird dann damit etwas anfangen können. Ich bin sicher, Tommy hätte Harry Potter geliebt.«
»Wie ist er …?« Sie hielt plötzlich inne. Die Frage bewegte sie seit dem Moment, als sie die Tafel gelesen hatte, aber sie hatte eigentlich nicht danach fragen wollen.
Alan schien es nicht zu stören. »Tommy hatte einen angeborenen Herzfehler: Endokarditisches-Fibrolastose-Syndrom. Einfach ausgedrückt, das Herz war nicht stark genug für seine Aufgabe. Wir haben ihn zu jedem Spezialisten in Manhattan gebracht. Sie haben alles versucht. Aber niemand konnte ihm helfen.« Seine Stimme wurde brüchig. »Und so starb er. Er lernte gerade zu
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