Widersacher-Zyklus 03 - Die Gabe
paar Fragen stelle.«
»Gut. Dann lassen Sie mich jetzt Ihnen eine Frage stellen.«
»In Ordnung.« Die Intensität in seinem Blick beunruhigte sie. »Was denn?«
»Jeffy.«
Ihr Magen verkrampfte sich. Sie ahnte, was kommen würde. »Was ist mit ihm?«
»Ich habe über ihn nachgedacht, seitdem ich herausgefunden habe, dass ich wirklich über diese Gabe verfüge, diese heilenden Hände oder wie es auch heißen mag. Aber ich wusste nicht, wie ich an Sie herantreten sollte. Und Sie sind nicht mehr mit ihm in meiner Praxis gewesen, seit er Bauchschmerzen hatte. Und ich konnte auch nicht einfach bei Ihnen an die Tür klopfen.« Er schien nach Worten zu suchen. Er holte tief Luft. »Sehen Sie: Ich will diese Gabe an Jeffy ausprobieren.«
»Nein!«, sagte Sylvia automatisch. »Auf keinen Fall!«
Alan blickte verständnislos drein. »Warum nicht?«
Sie wusste nicht genau, warum nicht. Es war eine völlig spontane Reaktion gewesen.
Der Gedanke, Jeffy auf Gedeih und Verderb einer Macht auszuliefern, an die sie nicht recht glauben konnte, ängstigte sie. Es war zu mystisch, zu unheimlich. Aber es ging tiefer als bloße Furcht. Ein namenloses Grauen, grund- und formlos, war in ihr aufgestiegen, als Alan gesprochen hatte. Sie verstand es nicht, aber sie wusste, dass sie dieser Empfindung hilflos gegenüberstand. Wer wusste, was das Dat-tay-vao mit Jeffy machen würde? Schlimm genug, wenn sie neue Hoffnungen schöpfen würde und es nicht funktionierte. Was wäre, wenn es fehlschlug und sich sein Zustand noch verschlimmern würde? Sie durfte nicht riskieren, dass ihm etwas passierte.
»Ich – ich – ich weiß nicht.« Die Worte stürzten aus ihr heraus. »Noch nicht. Jetzt nicht. Ich meine, Sie sagten selber, Sie wissen nicht, wie es funktioniert oder wann es genau funktioniert. Es bestehen zu viele Unsicherheiten. Und außerdem waren alle Heilungen, von denen Sie mir erzählten, auf körperliche Leiden bezogen. Jeffys Problem ist nicht rein körperlich. Es ist eine Störung in der Entwicklung.«
Alan sah sie eingehend an und ergründete ihr Gesicht.
Schließlich nickte er.
»Vielleicht haben Sie recht. Vielleicht sollten wir warten. Es liegt an Ihnen. Aber vergessen Sie nicht: Ich stehe Jeffy jederzeit, wenn Sie es mir sagen, zur Verfügung.«
»Vielen Dank, Alan«, sagte sie und fühlte das Grauen und die Panik weichen.
Er sah auf die Uhr. »Es ist spät. Ich werde Ba Bescheid geben, dass er Sie zurückfährt.«
Sylvia war irritiert und machte sich leichte Sorgen. Alan schien eine Menge zu vergessen. Sie war in der Vergangenheit immer beeindruckt gewesen, was er sich alles merken konnte.
Sie schüttelte den Gedanken ab und erinnerte ihn lachend daran, dass Ba gefahren war und sie abgemacht hatten, dass Alan sie nach Hause fuhr. Bei der Anspannung, unter der er stehen musste – zum einen diese wundersame Gabe und jetzt auch noch die Presse –, war es ein Wunder, dass er sich überhaupt noch auf etwas konzentrieren konnte.
»Und nochmals vielen Dank, dass Sie an Jeffy gedacht haben.«
»Oh, ich denke oft an ihn. Wenn Tommy noch leben würde, wäre er jetzt genauso alt wie Jeffy.«
20. Alan
Alan fuhr fast gelöst in die Praxis. Er hatte endlich jemanden gefunden, mit dem er über die Stunde der Macht reden konnte. Es war, als sei eine riesige Last von seinen Schultern genommen worden; es gab jetzt jemanden, mit dem er sie teilen konnte.
Schade, dass es nicht Ginny war. Er genoss es wirklich, mit Sylvia zu reden. Vielleicht zu sehr. Er hatte mehr über sich enthüllt, als ihm lieb war. Vielleicht hatte die Tatsache, dass sie ihn weinend gesehen hatte, die Tür geöffnet. Er hatte es immer vorgezogen, seine Gefühle für Sylvia unerforscht zu lassen, aber er sah den Tag kommen, an dem er sich mit ihnen auseinandersetzen musste. Zwischen ihnen entwickelte sich eine Vertrautheit, fast im direkten Verhältnis, wie sich die Distanz zwischen ihm und Ginny vergrößerte. Er wünschte, dass es nicht so wäre, aber es hatte keinen Sinn, das Offensichtliche abzustreiten.
Ihm war bewusst, wann es in seiner Ehe zu kriseln begonnen hatte. Es wäre ihm heute Sylvia gegenüber fast herausgerutscht, aber er hatte sich gerade noch zurückhalten können. Es war eine private Angelegenheit zwischen Ehemann und Ehefrau, und er hätte es nicht richtig gefunden, wenn er hinter ihrem Rücken über Ginny gesprochen hätte.
Zu sagen, dass mit Tommys Tod etwas in Ginny gestorben war, stimmte. Aber es war nur ein Teil der
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