Widersacher-Zyklus 03 - Die Gabe
Ich will ein Versprechen. Ich will, dass du eine Art Pressekonferenz hältst oder eine Pressemitteilung herausgibst, oder was auch immer man in einem solchen Fall macht, und aller Welt erklärst, dass es alles Lügen sind. Ich will, dass du wieder ein normaler Arzt bist und ich wieder deine normale Frau. Ich kann nicht damit umgehen, was hier passiert!«
In ihren Augen standen Tränen.
»Oh, Ginny«, sagte er, trat zu ihr und ergriff ihre Hände. »Ich weiß, dass das alles schwer für dich ist.« Er wusste nicht, was er sonst noch sagen sollte.
»Du schuldest mir noch eine Antwort, Alan.«
Er sah eine Zukunft vor sich, in der lauter kranke, unglückliche Menschen durch seine Praxis gingen, die Hilfe suchten, und er sah sich, wie er sie wieder weggehen ließ, während er stumm dastand und die Hände in den Taschen hatte.
»Verlang das nicht von mir, Ginny.«
»Alan, ich will die Dinge so, wie sie waren!«
»Sag mir: Könntest du am Hafen stehen und einen Rettungsring hinter deinem Rücken verstecken, während ein Ertrinkender zehn Meter von dir entfernt um Hilfe ruft?«
»Lass dieses hypothetische Zeug. Dies hier ist das wirkliche Leben – unser Leben. Und wir haben die Kontrolle darüber verloren! Ich will unser altes Leben zurück!«
Bedauern und Resignation durchfluteten ihn plötzlich. Das war es jetzt. Das war das Ende.
»Dieses Leben ist vorbei, Ginny. Es wird niemals wieder das gleiche sein. Ich kann nicht aufhören.«
Sie stieß sich von ihm weg. »Du meinst, du willst nicht aufhören!«
»Ich werde nicht aufhören.«
»Ich wusste es!«, sagte sie, und ihre Gesichtszüge verhärteten sich zu einer zornigen Maske. »Ich wusste, du würdest es nicht für mich tun, nicht für uns, aber ich wollte sicher sein. Du hast mich nicht enttäuscht! Auf jeden Fall bist du konsequent. Ich war niemals an erster Stelle bei dir – niemals. Warum sollte ich also jetzt besondere Rücksicht erwarten?« Sie wirbelte herum und lief auf die Treppe zu. »Entschuldige mich. Das Flugzeug wartet nicht.«
Alan blieb stehen und sah ihr nach, unfähig, ihr zu widersprechen. Hatte sie recht? Hatte er sie und ihre Ehe wirklich immer als zweitrangig behandelt? Er hatte nie darüber nachgedacht. Er hatte es als selbstverständlich hingenommen, dass beide das Leben führten, das sie sich wünschten. Vielleicht war das das Problem: Dass er die Dinge für selbstverständlich erachtet hatte und dass sie getrennte Leben geführt hatten. Die Bande, die sie früher zusammengehalten hatten, waren schon vor langer Zeit brüchig geworden, und sie hatten keine neuen geknüpft.
Und dann war die Gabe aufgetaucht.
Alan trat zum Fenster und blickte in den Regen hinaus. Die Gabe – sie war eine Herausforderung auch für die stärkste Ehe. Seine hielt dem nicht stand.
Aber ich kann sie nicht aufgeben! Ich kann nicht!
Er wusste nicht, wie lange er dastand, brütete, über Vergangenheit und Zukunft sinnierte, zusah, wie der Regen gegen die Scheibe prasselte, und sich fragte, wie lange Ginny in Florida bleiben würde, »um über die Dinge nachzudenken«. Aber noch gab er nicht auf. Er würde auf dem Weg zum Flughafen einen letzten Versuch machen, sie zu überzeugen. Er würde –
Ein Taxi hielt vor der Einfahrt und hupte.
Ginny war plötzlich auf dem Weg nach unten, schaffte es irgendwie, drei Koffer auf einmal zu tragen.
»Ich bringe dich hin, Ginny«, sagte er, zornig, dass sie dachte, er würde sie allein zum Flughafen fahren lassen.
Sie zog ihre Regenjacke über. »Nein, tust du nicht!«
»Jetzt sei nicht albern. Natürlich –«
»Nein, Alan! Ich gehe jetzt, weil ich allein zurechtkommen will. Ich will dich nicht bei mir haben, Alan. Muss ich noch deutlicher werden?«
Das tat weh. Er war sich nicht im Klaren gewesen, dass die Dinge schon so weit gediehen waren. Er schüttelte den Kopf und schluckte.
»Ich glaube nicht.«
Er hob die beiden größeren Koffer auf und trug sie durch den Regen zum Taxi. Ginny stieg hinten ein und schloss die Tür, während er und der Taxifahrer die Koffer verstauten.
Ginny winkte nicht, kurbelte auch nicht das Fenster herunter, um sich zu verabschieden. Sie kauerte im Rücksitz des Taxis und ließ sich wegfahren. Alan blieb in der Auffahrt stehen, im Regen. Er fühlte sich einsamer als je zuvor in seinem Leben.
JULI
26. Alan
Die Scheidungspapiere kamen eine Woche später, am Montagmorgen. Alan kämpfte gegen die Niedergeschlagenheit an, als er den Brief öffnete, und
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