Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Widersacher-Zyklus 03 - Die Gabe

Widersacher-Zyklus 03 - Die Gabe

Titel: Widersacher-Zyklus 03 - Die Gabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Gabe
Vom Netzwerk:
bewegte sich ruckartig von links nach rechts wie bei einem Pendel.
    Alan spürte, wie der Regen durch sein Hemd drang und die nassen Haare auf seine Kopfhaut klebte. Aber er konnte sie nicht entkommen lassen. Er trottete hinter ihr her.
    »Warten Sie!«
    Sie blickte kurz über die Schulter, ihre Augen voller Angst. Sie tat ihm so unglaublich leid. Wie viele Male in ihrem Leben hatten sich die Leute über sie lustig gemacht, auf ihr herumgehackt, sie gehänselt, gequält, herumgeschubst, getreten, nur wegen dem Fuß?
    »Ich will Ihnen nichts Böses!«
    Und dann stolperte sie. Sie hatte ihn angesehen und nicht auf den Bürgersteig geachtet, ihr Fuß verfing sich an der Bordsteinkante, und sie fiel in eine Schlammpfütze.
    Sie weinte, als Alan sie erreichte.
    »Tun Sie mir nicht weh! Ich habe kein Geld!«
    »Ich will nichts von Ihnen. Ich will nur dies machen.« Er griff nach dem missgestalteten linken Fuß, drehte und zerrte an ihm, bis er die anatomisch richtige Stellung hatte. Er fühlte das Zucken, den Anfall, hörte ihren Schrei, und dann war es vorüber. Er nahm ihre Hände.
    »Stehen Sie auf.«
    Sie sah ihn verwirrt und immer noch ängstlich an, nahm jedoch seine Hilfe an. Ihre Augen traten fast aus den Höhlen, als sie wieder stand und ihre linke Sohle fühlte, die zum ersten Mal in ihrem Leben flach auf dem Boden auflag. Sie keuchte, probierte es aus, dann ging sie einmal im Kreis, den Mund geöffnet, völlig sprachlos. Alan hob ihren Regenschirm und ihre Einkaufstasche auf und reichte sie ihr.
    »Nehmen Sie Ihre Sachen, gehen Sie nach Hause und ziehen Sie die nassen Sachen aus.«
    »Wer … wer sind Sie?«
    »Jemand, der sich wünscht, er wäre vierzig oder fünfzig Jahre früher für Sie da gewesen.« Er ging in einer Wolke triumphierender Euphorie zum Auto zurück. Oh, das hatte gut getan!
    Ginny und Tony starrten aus den Wagenfenstern.
    Tonys Augen wanderten zwischen Alan und der Frau hin und her, die nun mit ihrem gesunden linken Fuß auf dem Gehweg auf und ab ging.
    »Heilige Scheiße, Alan!«, sagte er immer wieder. »Heilige Scheiße !«
    Ginny sagte nichts. Sie starrte ihn nur an, ihr Gesicht war eine zusammengekniffene Maske, aus der nichts abzulesen war.
    Alan öffnete die Tür an ihrer Seite. »Würde es dir was ausmachen, den Wagen zu fahren, Liebling? Ich bin jetzt etwas durcheinander.«
    Tatsächlich war ihm plötzlich bewusst geworden, dass er den Weg zurück nicht mehr wusste. Aber es störte ihn nicht. Er fühlte sich verdammt gut !
    Wortlos glitt Ginny in den Fahrersitz und ließ den Wagen an.
    »Jetzt weißt du es«, sagte Alan, als sie Tony zum Abschied an ihrer Haustür zuwinkten.
    Ginny drehte sich um und ging ins Haus.
    »Ich kann es nicht glauben«, sagte sie. »Ich habe es zwar gesehen, aber …«
    »Verstehst du jetzt, warum ich nicht rausgehen und sagen kann, dass die Geschichten nicht stimmen?«
    Ginny ließ sich auf die Couch fallen und starrte auf eine Wand. »Oh Gott, Alan.«
    »Du verstehst das, ja?«
    Er wollte unbedingt hören, dass es so war. Sie war seit dieser kleinen Demonstration an der Kreuzung Central und Howe so schweigsam und grüblerisch. Er hatte nicht die geringste Ahnung, was in ihrem Kopf vor sich ging.
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte sie. »Das verstehe ich ganz und gar nicht. Du musst es nicht nur leugnen – du musst damit auch aufhören.«
    Er war wie betäubt. »Was?«
    »Es ist mein Ernst, Alan.« Sie erhob sich und begann, die Couch zu umkreisen, wortlos, mit gesenktem Kopf und vor der Brust verschränkten Armen. »Es ruiniert unser Leben!«
    »Du meinst, ich soll vergessen, dass ich diese Gabe habe? Sie ignorieren? Vorgeben, dass sie nicht existiert?«
    Sie sah ihn schließlich an, von Angesicht zu Angesicht, ihre Augen funkelten. »Ja. Genau das!«
    Alan starrte sie an. »Du meinst das wirklich ernst, nicht wahr?«
    »Natürlich meine ich das! Sieh, was es aus dir gemacht hat! Du kannst deinen Beruf nicht mehr ausüben – das Krankenhaus akzeptiert keine Einweisungen mehr von dir, und du kannst deine Praxis nicht mehr betreten, ohne von den Spinnern belästigt zu werden, die davor herumlungern. Kannst du dir vorstellen, was passiert, wenn du öffentlich zugibst, dass du Menschen heilen kannst? Sie werden dich in Stücke reißen!«
    Alan war wie gelähmt. Leugnen, dass die Gabe existiert? Nicht die Stunde der Macht nutzen?
    »Also …« Ginny zögerte, holte tief Luft und setzte dann von Neuem an. »Ich will eine Entscheidung von dir, Alan.

Weitere Kostenlose Bücher