Widersacher-Zyklus 03 - Die Gabe
drückte ihn an sich. »Oh, ich bin ja so froh!«
Alan erwiderte ihre Umarmung. »Und ich erst! Lass uns feiern!« Er zog eine CD aus der Tasche und reichte sie Ba. Der Wagen war bald mit schrillen »Ooooohs« und dumpfen »Booms« erfüllt.
»Guter Gott!«, lachte Sylvia. »Was ist das?«
»›I laughed‹ von den Jesters. Toll, was?«
»Es ist schrecklich! Ich kann nicht glauben, dass du Doo-wop hörst!«
Er zog ein langes Gesicht. »Magst du keine Oldies? Es ist nicht alles Doo-wop, weißt du.« Er beugte sich nach vom. »Ich sage Ba, er soll es abschalten.«
»Nein«, sagte sie und legte ihre Hand auf seine Schulter. Sie hatte das Bedürfnis, ihn zu berühren. »Ich mag einiges von dem alten Zeug, aber immer nur so was zu hören, scheint mir doch eine Sackgasse zu sein.«
»Man könnte das Gleiche von Opern sagen … oder Vivaldi.«
»Eins zu null für dich.«
»Warte, bis du das Nächste hörst!«, sagte er. Er benahm sich wie ein Teenager.
»Das ist ›Maybellene‹ von wie-war-noch-mal-sein-Name?« Sie erkannte das Lied fast sofort wieder.
»Chuck! The Berry!«
»Chuck Berry! Stimmt. Ich hätte nicht gedacht, dass es überhaupt noch jemanden gibt, der ihn hört.«
»Er ist der Beste. Die Beatles, die Rolling Stones, die Beach Boys – sie alle haben von ihm geklaut. Vielleicht sehne ich mich nach der Arglosigkeit dieser Tage zurück. Ich mag die Sachen aus den Sechzigern und Siebzigern. – Ich liebe die frühen Beatles, bevor die größenwahnsinnig wurden und KUNST gemacht haben. Wie alles andere auch, war eine Menge von diesem alten Zeug einfach nur Mist, aber die guten Sachen … sie hatten eine Schlichtheit, eine Unschuld, die es heute nicht mehr gibt und die auch nicht zurückkommen wird. Niemand wollte eine Botschaft verbreiten, niemand wollte die Welt retten. Es ging nur um einen bestimmten Sound. Und das führt zu einer unnachahmlichen Reinheit, die die Songs ausstrahlen.«
Und ich habe mir Sorgen um sein Gedächtnis gemacht, dachte Sylvia mit einem mentalen Kopfschütteln.
»Diese Musik gefällt dir wirklich, was?«, fragte sie.
Alan zuckte die Schultern. »Ich bekomme gute Laune davon. Und in diesen Tagen kann ich das wirklich gebrauchen. Was soll ich sonst sagen?«
»Nichts weiter. Das ist es, was zählt.«
»Jetzt kommt ›Florence‹ von den Paragons«, sagte er. Er grinste sie an und sang das Falsett-Intro mit.
Sie zuckte bei seinen falschen Tönen zusammen. Sie fühlte sich ihm in diesem Moment eng verbunden, und ihr wurde auf einmal bittersüß klar, dass sie einen Mann liebte, den sie niemals haben konnte.
25. Alan
»Was machst du da?«, fragte Alan, als er ihr Schlafzimmer betrat.
Er war nach oben gehastet, um ihr vom Ergebnis der Computertomografie zu berichten.
Ginnys Antwort war kurz und bündig, und sie sah nicht einmal auf, als sie sprach.
»Ich denke, das ist ziemlich offensichtlich.«
Das war es. Sie war dabei, ihre Kleidungsstücke aus ihrem Kleiderschrank und den Schubladen zu nehmen und sie in die drei Koffer zu packen, die sie in absteigender Größe auf das Bett gelegt hatte.
»Wohin fahren wir?«
Mit einem dumpfen Gefühl in der Magengegend wurde ihm klar, dass ein ›wir‹ in diesem Fall nicht angebracht war, trotzdem benutzte er das Wort. Das Trommeln des Regens gegen die Fenster erfüllte den Raum, als er auf eine Antwort wartete.
»Florida. Und ich fahre allein. Ich brauche Zeit für mich, Alan. Ich muss hier raus und für eine Weile über die Dinge nachdenken.«
»Du meinst über uns.«
Sie seufzte und nickte. »Ja. Über uns. Was davon noch übrig ist.«
Alan ging auf sie zu, aber sie hielt eine Hand abwehrend hoch.
»Nein. Bitte nicht. Ich will einfach nur weg. Allein. Ich ertrage es hier nicht mehr.«
»Alles wird wieder gut, Ginny. Ich weiß es.«
»Ach, wirklich?«, fragte sie und warf eine Hose in den großen Koffer. »Und wer wird alles in Ordnung bringen? Du? Du hast dich vor dem Kuratorium lächerlich gemacht! Du hast deine Verträge mit dem Krankenhaus verloren! Du kannst nicht einmal in deine Praxis gehen bei all den Spinnern, die da herumlungern!
Und alles, was du tust, ist hier herumhängen und Besprechungen mit Tony abhalten, damit du deine ärztliche Zulassung nicht auch noch verlierst.«
»Ginny –«
»Niemand will noch mit uns zu tun haben!« Ihre Stimme wurde lauter und schriller. »Es ist, als ob wir in einem Vakuum lebten. Alle unsere Freunde haben entweder etwas anderes zu tun, wenn ich anrufe, oder machen
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