Widersacher-Zyklus 04 - Erweckung
Angst. Das war paranoide Hysterie.
»Ich mache damit weiter«, sagte Bill und ließ sich neben ihr auf die Knie fallen.
Carol bemerkte, dass auch seine Hände zitterten. Sie kämpfte gegen den Drang, ihm das Gesicht zu zerkratzen, während er mit Jonahs Fesseln beschäftigt war. Diese irrationalen Hassgefühle gegen Bill, die immer wieder in ihr hochkamen – sie verstand sie nicht, aber sie würde sich nicht von ihnen hinreißen lassen. Sie würde sie unter Kontrolle bekommen. Sie würde lernen, über alles in ihrem Leben die Kontrolle auszuüben.
Sie stand auf, ging zu der Fensterfront und starrte auf den aufklarenden Himmel hinaus. Ihr war, als befände sie sich im Zentrum eines gewaltigen Wirbelsturms. Wenn sie doch nur wüsste, wohin sie sich wenden, was sie tun sollte. Die Sonne stand tief und schien durch eine Wolkenlücke am Horizont. Es war wieder kalt geworden. Sie schlang die Arme um sich und versuchte, sich warm zu rubbeln.
Und plötzlich fühlte sie, wie ihr Blut zu Eis erstarrte.
23.
Als er den letzten der Knoten aufknüpfte, mit denen Jonah Stevens gefesselt war, hörte Bill ein leises Stöhnen, ein entsetzlicher Laut zwischen Entsetzen und tiefem Schmerz. Er sah auf und sah Carol am Fenster stehen. Sie hatte ihm den Rücken zugewandt und sie wippte vor und zurück, als stände sie auf dem Deck eines Schiffes mitten in einem Sturm.
»Carol? Geht es dir gut?«
Er sah, wie sie erstarrte. Sie drehte sich zu ihm um, ihre Hände fest in die Taschen ihres Kleides gedrückt, das Gesicht leichenblass.
»Nein«, sagte sie mit leiser, heiserer Stimme. »Vielleicht wird es mir nie wieder gut gehen.«
Sie sah aus, als würde sie jeden Moment zusammenbrechen. Er eilte zu ihr und nahm ihren Arm.
»Hier. Setz dich.«
Sie schüttelte seine Hand ab, setzte sich aber auf den Stuhl am Fenster, wo sie zitternd und mit hängenden Schultern hockte. Sie sah zu ihm auf und ihr Versuch eines Lächelns war eine schreckliche Grimasse.
»Es geht schon.«
Bill glaubte ihr nicht, also ging er zum Telefon und hob den Hörer.
»Was haben Sie da vor?«, fragte Jonah mit ruhiger Stimme.
»Ich rufe die Polizei.«
Bill sah, wie Carol und Jonah einen Blick austauschten. Was hatten sie miteinander geflüstert, während sie an seinen Knoten herumhantiert hatte?
»Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist«, sagte Carol.
Bill wollte nicht mit ihr streiten. Er war ebenfalls vollkommen aufgewühlt, innerlich wie äußerlich. Er hatte heute Dinge gesehen, die er nicht erklären konnte, die er nie für möglich gehalten hatte. Er brauchte die Polizei, um wieder eine Art Ordnung zu schaffen, um ihm eine Art rationaler Wirklichkeit zurückzugeben.
Er hob den Hörer an sein Ohr: kein Freizeichen.
»Die Leitung ist sowieso tot«, sagte er. »Aber was ist falsch daran, die Polizei zu rufen?«
»Vielleicht sind die darin verstrickt.«
Das war lächerlich. »Ich kann mir nicht …«
»Bill, würdest du uns zum Flughafen fahren?«
»Wen?«
»Jonah und mich. Ich muss für eine Weile untertauchen. Das ist die einzige Möglichkeit, die ich sehe, wo ich in Sicherheit bin, und mein Baby gerettet wird.«
»Ich kann ihr helfen, unterzutauchen«, sagte Jonah.
Bill blickte Jonah an und sah, wie er nickte. Ihm fiel wieder ein, dass er keinerlei Gefühlsregung gezeigt hatte, als seine Frau vor seinen Augen ermordet worden war. Der Mann war eine Schlange. Bill konnte nicht zulassen, dass Carol mit ihm ging.
»Nein! Das ist verrückt! Das lässt sich alles aufklären. Die Polizei kann diese Irren festnehmen und …«
»Jonah kann mich fahren«, sagte sie, »oder ich fahre selbst. Aber ich werde jetzt gehen und ich möchte, dass du mich begleitest. Es kann sein, dass wir uns nie wiedersehen.«
Bill starrte Carol an. Sie hatte sich verändert. Alles, was in der Vergangenheit an Eisen in ihrer Persönlichkeit verteilt gewesen war, war durch das, was ihr heute zugestoßen war, zu einem massiven Stahlkern zusammengeschmolzen. Ihre Augen blickten ihn mit unbeugsamer Entschlossenheit an. Er fühlte sich so verdammt hilflos.
Bill zwang sich zu den Worten: »Gut, ich fahre dich.«
Vielleicht konnte er sie während der Fahrt noch umstimmen.
24.
Carol stand Bill am Terminal der Eastern Airlines gegenüber.
»Zeit zu gehen«, sagte sie.
Sie fühlte sich ängstlich und allein. Jonah würde bei ihr sein, aber das war so gut wie allein. Trotzdem sah sie keine andere Lösung. Sich nach Süden wenden, wo die Dinge nicht so
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