Widersacher-Zyklus 04 - Erweckung
Schlacht? Hoffentlich würde sich in der Gruppe, die sich in dem Gebäude versammelt hatte, jemand finden, der das Banner in die Schlacht trug.
Nicht, dass es ihn groß kümmerte. Er hatte seine Zeit abgedient. Dieses Mal durfte jemand anderes die Last schultern. Er war raus aus dem Spiel. Endgültig.
Er blieb an der Kreuzung zur Lexington Avenue stehen und hob den Arm nach einem Taxi, im Allgemeinen eine sinnlose Geste an einem regnerischen Tag. Aber genau in diesem Moment fuhr ein zerbeulter Wagen direkt vor ihm an den Straßenrand und setzte zwei ältere Damen ab. Mr Veilleur hielt ihnen die Tür auf.
»Wo woll’n Se denn hin?«, fragte der Fahrer.
»Central Park West.«
»Springen Se rein. Sind schon unterwegs.«
Als er auf den Rücksitz glitt, überlegte Mr Veilleur, dass er – wenn er denn an Omen glauben würde – dieses offenkundige Wunder als gutes Vorzeichen sehen müsste.
Nur hatte er schon vor langer Zeit aufgehört, an so etwas zu glauben.
3.
»Ich weiß genau, was Sie damit bezwecken«, sagte Catherine, die ältere, gesetztere der beiden Schwestern. »Und, nein, wir können ihn nicht zu uns nehmen. Ich jedenfalls kann das nicht.«
In ihrem Büro im städtischen Krankenhaus von Monroe saß Carol den beiden Töchtern von Mr Dodd gegenüber. Sie hatte anderthalb Wochen gebraucht, bis sie sie beide zusammen zu einem Gespräch bewegen konnte. Dies war der einzige dafür in Frage kommende Tag. Kay Allen, ihre Chefin, würde sie zum Psychiater schicken, sollte sie erfahren, dass Carol am Sonntag arbeitete.
»Ich auch nicht«, sagte Maureen.
»Er ist äußerst deprimiert, weil er in ein Pflegeheim soll«, sagte Carol.
Mr Dodds Pflegeantrag war schließlich bewilligt worden und sie hatte einen Pflegeplatz in einem Altenheim in Glen Cove für ihn gefunden. Er sollte am Donnerstag dahin verlegt werden. Es war ihr aufgefallen, dass der alte Mann körperlich stark abgebaut hatte, als er erfahren hatten, dass er jetzt »von der Wohlfahrt« leben musste, wie er es nannte, und seine letzten Tage in einem Pflegeheim mit lauter Fremden verbringen musste. Er ließ sich nur noch gehen. Essen, Rasieren oder irgendetwas anderes waren ihm nun vollkommen egal.
»Das sind wir mindestens genauso, weil wir ihn da hinschicken müssen.« Catherines Tonfall forderte den Widerspruch nur so heraus.
Carol spürte die Schuldgefühle unter all der Feindseligkeit und fühlte mit ihr. Die Frau hatte den Eindruck, sie sei in einer ausweglosen Situation.
»Er kann sich selbst anziehen, selbstständig essen, sich selbst waschen, morgens ohne Hilfe aufstehen und abends ebenso zu Bett gehen. Er muss nicht in ein Pflegeheim. Er braucht jemanden, der ihm seine Mahlzeiten kocht, seine Wäsche wäscht und ihm Gesellschaft leistet. Er braucht eine Familie.«
Catherine stand auf. »Wir sind das alles schon durchgegangen. Nichts hat sich geändert. Meine Schwester, ich und unsere beiden Ehemänner, wir sind alle berufstätig. Wir können Papa nicht den ganzen Tag allein im Haus lassen. Der Arzt hat gesagt, dass sein Gedächtnis immer weiter nachlässt. Er könnte sich Wasser für Kaffee oder für eine Suppe aufsetzen und es dann vergessen und einer von uns kommt dann nach Hause zu den schwelenden Balken, wo vorher unser Haus gestanden hat.«
»Es gibt Möglichkeiten, so etwas zu verhindern«, sagte Carol. »Sie können jemanden anstellen, der tagsüber bei ihm bleibt – wir bekommen für einen gewissen Zeitraum einen mobilen Pflegedienst bewilligt, der nach ihm sieht. Glauben Sie mir, es gibt Mittel und Wege, und ich kann Ihnen helfen, das alles zu organisieren, wenn sie dazu bereit sind.« Sie beschloss, ihr Ass auszuspielen. »Außerdem ist es ja nicht für immer. Er ist vierundsiebzig. Wie viele Jahre hat er denn noch vor sich? Es liegt an Ihnen, ob es schöne Jahre werden. Sie könnten sich von ihm verabschieden.«
»Was soll das denn heißen?«
Carol schluckte den Kloß in ihrer Kehle hinunter. »Die meisten Menschen bekommen nicht die Möglichkeit, sich von ihren Familienangehörigen zu verabschieden.«
Wie immer in Situationen wie dieser dachte sie an ihre eigenen Eltern, dachte an all die Dinge, die sie ihnen gern noch zu Lebzeiten gesagt hätte. Sie hätte sich gern von ihnen verabschiedet. Ihr war, als müsse sie ihr ganzes Leben lang mit dem Gefühl zurechtkommen, da sei etwas unvollendet geblieben. Anderen Menschen diese Last zu ersparen, war eines der Ziele, die sie in ihrem Beruf realisieren
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