Widersacher-Zyklus 04 - Erweckung
entsagt hatte, um auf diese Weise Gott näher zu sein.
Vergib mir meine Vermessenheit, oh Herr, aber vielleicht hast du einen Fehler gemacht, als du mich erwählt hast, diese Herde zu leiten. Die Last ist schwer und meine Schultern sind schmal.
Vielleicht hatte er der Welt nicht genug entsagt. Er hatte gefastet und gebetet und in den Feldern des Klosters gearbeitet, aber trotzdem hatte es ihn nach Wissen gedürstet. Das Verlangen nach Wissen hatte ihn dazu getrieben, seinen Abt und den Generalsuperior um Erlaubnis zu bitten, andere Ordensgemeinschaften zu erforschen und zu katalogisieren. Nicht die Benediktiner und andere alteingesessene Orden, sondern obskure, wenig bekannte Glaubensgemeinschaften, die zum mönchischen Leben etwas Neues beitragen könnten.
Ihm waren zwei Jahre zugestanden worden, aber die hatte er weit überschritten auf seiner unglaublich faszinierenden Reise um die Welt. Er war auf die Gemeinschaft der orphischen Brüder und einige Pythagoraer in Griechenland gestoßen. Er hatte Nachfahren der klassischen Therapeuten und der Eremiten im mittleren Osten getroffen. Er hatte sogar drei Styliten gesehen, von denen jeder für sich auf einer steinernen Säule in der Wüste Gobi saß. Im Fernen Osten erforschte er viele buddhistische Orden, und in Japan traf er auf die letzten zwei Überlebenden des Kakureta Kao, eines Ordens, dessen Mitglieder sich selbst verstümmelten.
Er hätte da aufhören sollen. Sein Kompendium klösterlicher Lebensgemeinschaften und ihrer Sitten und Gebräuche war das Vollständigste der Erde. Aber es war nicht genug. Er forschte weiter. Er war fasziniert von Hinweisen auf dunkle Geheimnisse, die in uralten Ruinen verborgen lagen, in verbotenen Büchern. Er hatte sie ergründet.
Die Suche in mythenumrankten alten Ruinen hatte einige alte, mystische Manuskripte ans Tageslicht gebracht. Er hatte sie übersetzt …
Und war für immer verändert.
Er suchte nicht mehr nach Wissen. Er sehnte sich jetzt nur noch in sein Kloster zurück. Er wollte sich verstecken vor der Welt und dem, was er erfahren hatte.
Aber das war nicht möglich. Die Veränderungen in ihm hatten ihn hierher geführt, zu dieser katholischen Pfingstgemeinde. Geheimnisse traten zutage und er spürte, dass der Herr ihn an diesem Ort haben wollte, wenn alles offenbar wurde.
Aber würde er imstande sein, sich dieser Herausforderung zu stellen? Weder seine Kindheit auf einem Bauernhof bei Remy noch sein Erwachsenenleben in einem kontemplativen Kloster hatten ihn auf so etwas vorbereitet.
Monroe
2.
»Magst du immer noch Jefferson Airplane?«, rief Carol aus dem großen Ohrensessel in der Hanley-Bibliothek. Sie hatte bereits angefangen, den Sessel als ›ihren‹ Sessel zu betrachten.
Heute Morgen fühlte sie sich besser – wenigstens war sie nicht mehr so niedergeschlagen. Jim hatte sie letzte Nacht so zärtlich geliebt und ihr so süße Dinge ins Ohr geflüstert, dass sie sich als Frau nicht mehr völlig nutzlos vorkam. Sie hatte die Platten von Laura Nyro mit in die Villa gebracht und jetzt schallte die wundervolle Stimme mit den eigentümlichen Texten aus den versteckten Lautsprechern von Hanleys Stereoanlage, wodurch das große Haus ein wenig mehr wie ein Zuhause wirkte.
Körperlich jedoch fühlte sie sich genauso ausgelaugt und genauso gerädert wie an jedem anderen Morgen in der letzten Zeit. Dass sie letzte Nacht schon wieder einen blutigen Albtraum gehabt hatte, machte das alles nicht besser.
Irgendwas stimmte nicht mit ihr. Sie hatte beschlossen, sich einen Termin bei Dr. Albert geben zu lassen. Der sollte sie gründlich durchchecken. Und falls der nichts fand, dann würde sie einen Gynäkologen zu Rate ziehen, wie sich die Unregelmäßigkeit ihrer Regel ausgleichen ließ.
Aber in diesem Moment ließ sie es gerade ruhig angehen. Sie hatte es sich mit der Freizeitbeilage der gestrigen Times bequem gemacht. Vorher hatte sie dazu keine Zeit gehabt. Jim hatte sie überredet, sich krank zu melden, weil sie sich so ausgelaugt gefühlt hatte.
Eigentlich drängte er sie sogar, ihre Stelle zu kündigen. Schließlich brauchten sie das Geld jetzt nicht mehr, warum sollte sie sich dann jeden Morgen ins Krankenhaus schleppen? Das waren gute, logische Argumente, aber Carol wollte ihre Arbeit nicht aufgeben. Noch nicht. Erst dann, wenn sie Kinder hatte, für die sie zu Hause bleiben musste. Bis dahin gab es Menschen im Krankenhaus von Monroe, die auf sie angewiesen waren. Leute wie Mr Dodd.
Kay
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