Widersacher-Zyklus 05 - Nightworld
gezogen.
Er bemerkte das Beil, das ihm entfallen war. Er versuchte es zu erreichen. Er streckte seinen gesunden Arm und die Finger so weit es nur ging, bis er dachte, es würde ihm die Schulter auskugeln, aber er kam nicht heran. Wie ein auf große Fahrt gehender Seemann, der vom Bug aus auf seinen Heimathafen zurückblickt, sah er zu, wie das Beil weiter und weiter aus seiner Reichweite verschwand.
Dann kam sein Rollstuhl. Er griff danach, erwischte die Fußstütze, aber er rollte einfach mit ihm mit. Er klammerte sich trotzdem daran, weil es nichts anderes gab, woran er sich festhalten konnte.
Und dann schlossen und wickelten sich andere Tentakel um seine Beine. Er hatte keine Ahnung wie viele, doch jetzt hätte er sich auch dann nicht mehr befreien können, wenn er zwei gesunde Beine gehabt hätte. Er war hilflos. Vollkommen hilflos.
Ich werde sterben.
Obwohl er keinen Augenblick aufhörte, gegen das unaufhaltsame Zerren der Tentakel anzukämpfen, war diese Erkenntnis ein plötzlicher kalter Block auf seiner Brust. Furcht und Entsetzen durchfuhren ihn, aber keine Panik. In erster Linie Traurigkeit. Tränen traten ihm in die Augen, Tränen wegen all der Dinge, die er nicht mehr tun würde, so wie wieder zu gehen, Jeffy aufwachsen zu sehen, mit Sylvia alt zu werden. Aber vor allem wegen der Art, auf die er sterben würde. Er hatte sich nie vor dem Augenblick gefürchtet, aber er hatte sich immer vorgestellt, er würde kommen, wenn er grau und faltig und bettlägerig wäre und er würde ihn dann mit offenen Armen empfangen.
Die Tentakel zerrten seine Beine durch das Loch am Boden der Tür. Das scharfkantige Holz kratzte über die Rückseite seiner Schenkel und bohrte sich dann in das Fleisch seiner Hüften und seines Hinterns, als er in der Öffnung stecken blieb.
Er würde nicht hindurchpassen. Zumindest nicht in einem Stück.
Gott, oh Gott, oh Gott, ich will so nicht sterben!
Und plötzlich, bei all der Angst und der Trauer und dem Schmerz, wurde ihm klar, dass er auf eine bestimmte Weise sterben musste. Er hatte keine Wahl dabei gehabt, wie der Tod zu ihm kommen würde, aber er hatte ein Mitspracherecht, wie er ihm gegenübertrat.
Still.
Er stöhnte, als der Zug auf seine Beine stärker wurde und die Sehnen und Bänder, die Haut und die Muskeln weit über Gebühr gedehnt wurden.
Kein Mucks!
Er streckte die Hand nach oben, griff sich die dünne Baumwohldecke von dem Rollstuhl und stopfte sie sich tief in den Mund. Er würgte, als der Stoff sein Zäpfchen berührte.
Gut. Würg nur! Denn dann konnte er nicht schreien. Und er durfte nicht schreien!
Oh Gott, dieser Schmerz!
Er musste still sein, denn wenn er die Angst und den Schmerz in einem Schrei herausließ, würde Sylvia aufwachen und herkommen … Er kannte sie, er wusste, wenn sie glaubte, er sei in Gefahr, würde sie nicht zögern, sie würde angreifen und sich durch einen Schwarm von Krabblern und Tentakeln kämpfen, um zu ihm zu gelangen …
Alan kreischte lautlos in seinen vollgestopften Mund, als der Kugelkopf des rechten Oberschenkelknochens mit einem unbeschreiblichen Schmerz aus der Gelenkpfanne gerissen wurde, und er schrie noch einmal, als der des linken Gelenks folgte.
Still! Still! STILL!
… denn für ihn war es bereits zu spät, und wenn sie aus dem Keller kommen würde, dann würden sie sie auch kriegen, und wenn sie dann mit Sylvia fertig waren, würden sie sich Jeffy holen, und dann wäre Glaeken nicht mehr in der Lage, das zusammenzusetzen, was er brauchte, und dann würde die Andersheit gewinnen und die Krabbler würden sich alle holen … Er konnte nur hoffen, dass er Sylvia und Jeffy genug Zeit verschafft hatte … Er hoffte, sein Körper würde weiterhin das Loch verstopfen und die Krabbler noch eine Weile draußen halten, denn sonst würden sie sich in Kürze in Toad Hall ausbreiten und wenn sie genug Zeit hatten, dann würden sie sich durch die Kellertür nagen und seine Todesqualen wären dann umsonst gewesen … Also musste er nur noch ein paar Sekunden länger durchhalten und still sein, denn in ein paar Sekunden würde es vorbei sein und …
Alans Knebel saugte den Schmerzensschrei auf, der sich aus seiner Kehle löste, als sein rechtes Bein von seinem Körper abgerissen wurde und in die Nacht davonglitt, und trotzdem lächelte er innerlich, als er fühlte, wie sein Bewusstsein mit dem warmen roten Strom davonsickerte, der aus der zerrissenen Oberschenkelarterie pumpte. Er lächelte, denn nichts ist so still wie
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