Widersacher-Zyklus 05 - Nightworld
umarmen. Aber ihr Kummer saß so tief, war so ungehemmt … Er hatte sie noch nie so erlebt, hatte nie gedacht, dass sie so tiefe Trauer empfinden könnte.
Und dann rannte Jeffy auf ihn zu und auch er weinte. Er schlang die Arme um Bas linkes Bein und ließ nicht mehr los.
Sachte, ganz vorsichtig, legte Ba eine Hand auf die Schulter der Missus und die andere auf Jeffys Kopf. Seine Freude, sie zu sehen, wurde getrübt, als ihm allmählich aufging, dass das Bild unvollständig war.
Jemand fehlte.
»Und der Doktor, Missus?«
»Ach Ba«, stieß sie schluchzend hervor. »Er ist tot. Diese … diese Dinger … Sie haben ihn getötet und weggeschleppt! Er ist weg, Ba! Alan ist weg und wir werden ihn nie wiedersehen!«
Für einen Moment dachte Ba, er würde das Gesicht des Doktors erspähen, der vom Rücksitz des Graham zu ihm herübersah, dachte, er spüre die Wärme seines ungekünstelten Lächelns, seine Aura von Ehre und stillem Mut.
Und dann verblasste das Bild und etwas geschah mit Ba, etwas, das seit seiner Kindheit in dem Fischerdorf, in dem er geboren war, nicht mehr vorgekommen war.
Ba Thuy Nguyen weinte.
So wie sich der Wandel oben vollzieht, so geht auch der Wandel unter der Erde voran.
Rasaloms neue Gestalt wird noch größer. Er hat jetzt die Größe eines Elefanten, wie er da in der Höhle hängt. Um Platz für ihn zu machen, fällt noch mehr Erde in das weiche gelbe Glühen des bodenlosen Loches unter ihm.
Seine Sinne fühlen tief durch die Erde hindurch und Rasalom weiß, dass der Wandel ungehindert voranschreitet und weit vor dem Zeitplan liegt. Oben regiert das Chaos. Der süße Nektar aus Angst und Elend, das Ambrosia von Wut und Zerstörung sickert weiterhin durch die Erdschichten, um ihn zu nähren, ihn wachsen zu lassen und stärker zu machen.
Und in der Mitte einer sterbenden Stadt steht Glaekens Haus unangetastet, eine Insel der Ruhe in einem Meer der Qualen. Die Mitglieder seiner jämmerlichen kleinen Truppe hetzen jetzt wieder zurück von Reisen kreuz und quer über den Globus und bringen die gefundenen Stücke und Überreste des ersten und zweiten Schwertes zurück. Und sie alle klammern sich verbissen an ihre Hoffnung.
Gut. Rasalom will diese Hoffnung wachsen lassen, bis es die letzte große Hoffnung ist, die der ganzen Menschheit geblieben ist. Sollen sie doch glauben, dass sie etwas wirklich Wichtiges getan haben, etwas Epochales. Je höher ihre Hoffnung sie hebt, desto länger währt dann der Fall, wenn sie erfahren, dass sie sich für nichts bemüht haben und gestorben sind.
Aber Rasalom spürt auch, dass sie sich in ihrer relativen Sicherheit eingerichtet haben, dass sie Kraft aus ihrer Gemeinschaft ziehen. Ihr Friede, so wacklig er auch sein mag, ist ein Stachel in seinem Fleisch. Er kann nicht zulassen, dass das ungestört so weitergeht. Er will sie nicht vernichten – noch nicht. Aber er will ihre Abschottung durchbrechen, sie irritieren, sie verunsichern. Er will, dass sie anfangen, über ihre Schultern zu blicken.
Einer von ihnen muss sterben.
Nicht draußen auf der Straße, sondern mitten in ihrer sicheren Zuflucht. Es muss ein hässlicher Tod sein – nicht schnell und sauber, sondern langsam und schmerzhaft und schmutzig. Und damit dieser Tod die meiste Wirkung erzielt, muss er ein hoch geschätztes Mitglied ihrer Gemeinschaft treffen, jemanden, der am Unschuldigsten scheint, der Unauffälligste, jemand, von dem sie nie erwarten würden, dass er ihm eine solche Qual antun würde.
Die neuen Lippen, die sich in dem Kokon bilden, verziehen sich zum Äquivalent eines Lächelns.
Zeit für eine bisschen Spaß.
In dem Tunnel, der zu der Höhle führt, regt sich Rasaloms Haut, die er vor Tagen abgestreift hat. Sie bläht sich auf, schwillt an, füllt sich zu lebensechten Proportionen. Dann erhebt sie sich und beginnt den Aufstieg an die Oberfläche.
Im Laufen erprobt er ihre Stimme.
»Mutter.«
Es wäre sicher besser, wenn Ba fahren würde, dachte Bill, als er mit dem alten Graham über den verlassenen Long Island Expressway dahinraste und auf den Queens-Midtown-Tunnel zuschoss. Er sah auf seine Uhr: 15:32 Uhr. Sie hatten noch weniger als vierzig Minuten Licht. Normalerweise wäre er über die Queensboro Bridge gefahren, aber im letzten Augenblick war ihm wieder eingefallen, dass die wegen eines Schwerkraftlochs unpassierbar war.
Jack saß neben ihm auf dem Beifahrersitz mit dieser massigen Waffe mit dem kurzen Lauf – Jack nannte sie eine »SPAS« – offen vor
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