Widersacher-Zyklus 05 - Nightworld
aussah, als sei sie gebrochen gewesen und nicht richtig wieder zusammengewachsen. Sie überlegte, ob er früher wohl mal Boxer gewesen war. Sie fragte sich auch, wie er so dasitzen und keine Miene verziehen konnte? Es konnte natürlich sein, dass er genauso verrückt war wie der alte Kerl. Kaum waren die Nachrichten voll mit dem unerwarteten Verhalten der Sonne, da krochen die ganzen Spinner aus ihren Löchern und verkündeten, das Ende der Welt sei nahe oder noch Schlimmeres. Und sie hatte zwei von denen in ihr Haus gelassen!
Und dann sah sie etwas in den Augen des Priesters aufblitzen. Einen Blick gequälter Müdigkeit, als habe er schon zu viel gesehen und fürchte sich vor dem, was noch kommen mochte.
»Ich habe es Ihnen doch gesagt«, erklärte Alan. »Das Dat-Tay-Vao ist weg.«
»Weg von Ihnen, ja.« Veilleur legte seinen Arm um Jeffy. »Aber es ist nicht sehr weit gereist.«
Sylvia fuhr hoch und kämpfte gegen die Panik an, die sich in ihr ausbreitete. Sie ersetzte sie durch Wut.
»Raus! Ich will, dass Sie sofort gehen! Sie beide! Augenblicklich!«
»Mrs. Nash«, beschwichtigte der Priester und erhob sich. »Wir wollen Ihnen nichts Böses – niemandem.«
»Schön. Gut. Aber ich will, dass Sie beide gehen. Ich habe keinem von Ihnen noch etwas zu sagen, wir haben nichts mehr zu bereden.«
Der Priester deutete auf Veilleur. »Dieser Mann versucht, Ihnen zu helfen – uns allen zu helfen. Bitte hören Sie ihn an.«
»Bitte gehen Sie jetzt, Pater Ryan. Zwingen Sie mich nicht dazu, Sie von Ba hinauswerfen zu lassen.«
Sie blickte zu Ba hinüber. Im Laufe der Jahre hatte sie gelernt, in seinem prinzipiell ausdruckslosen Gesicht zu lesen. Was Sie da jetzt sah, war Zögern. Warum? Wollte er, dass sie blieben? Wollte er sie zu Ende anhören?
Nein. In dieser Situation kam es nicht darauf an, was Ba wollte. Sie mussten aus dem Haus. Augenblicklich.
Mit langen Schritten ging sie durch das Foyer und öffnete die Tür. Mit offensichtlichem Widerwillen verließen der alte Mann und der Priester das Haus. Auf dem Weg nach draußen ließ Mr. Veilleur eine Visitenkarte auf dem Tischchen im Flur zurück.
»Für später, wenn Sie Ihre Meinung geändert haben«, sagte er.
Er schien davon so überzeugt, dass ihr darauf keine passende Erwiderung einfiel. Als sie die Tür hinter ihnen ins Schloss warf, hörte sie das Geräusch von Alans Rollstuhl auf sich zukommen.
»Du warst ganz schön grob zu ihnen, meinst du nicht?«
»Du hast sie doch gehört. Das sind Verrückte.« Sie trat zu einem der Seitenfenster neben der Tür und beobachtete den alten Mann und den Priester, die neben ihrem Auto in der Einfahrt standen. »Vielleicht sind sie gefährlich.«
»Könnte sein. Aber eigentlich kamen sie mir nicht so vor. Und dieser alte Kerl – er wusste verdammt viel über das Dat-Tay-Vao. Und alles davon stimmte.«
»Aber sein Gerede vom Ende der Welt … von einer ›Zeit der Dunkelheit und des Wahnsinns‹. So reden nur Irre.«
»Ich erinnere mich an jemand, die genauso reagiert hat, als ich ihr erzählt habe, ich hätte die Fähigkeit, durch Handauflegen zu heilen.«
Sylvia wusste noch, dass sie damals gedacht hatte, Alan habe vollkommen den Verstand verloren. Aber das hier war etwas anderes.
»Du hast nicht behauptet, die Welt würde untergehen.«
Der Priester und der alte Mann stiegen in ihr Auto. Gott sei Dank.
»Stimmt. Aber irgendetwas passiert gerade, Sylvia. Wir haben Frühling, trotzdem werden die Tage kürzer und die Wissenschaftler wissen nicht, warum. Vielleicht steuern wir auf eine Art Apokalypse zu. Vielleicht hätten wir ein wenig länger zuhören sollen. Der Mann weiß etwas.«
»Er weiß nichts, was mich interessieren würde. Und ich will ganz bestimmt keinen Quatsch über den Weltuntergang hören.«
»Das ist nicht das, wovor du dich fürchtest, habe ich recht, Sylvia?«
Sie drehte sich um und sah ihm ins Gesicht. Sie hatte sich immer noch nicht daran gewöhnt, Alan im Rollstuhl zu sehen. Sie hatte nicht vor, sich daran zu gewöhnen. Denn Alan würde nicht für immer darin sitzen. Das Dat-Tay-Vao hatte ihn im letzten Sommer im Koma zurückgelassen, aber er hatte sich wieder herausgekämpft. Und er kämpfte immer noch. Deswegen liebte sie ihn. Er war ein Kämpfer. Sein Wille war so stark wie der ihre. Er würde sich nie geschlagen geben.
»Was meinst du damit?«
Sie wusste genau, was er meinte, und deswegen konnte sie ihm auch nicht in die Augen sehen.
»Wir kreisen jetzt schon seit Monaten um
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