Widersacher-Zyklus 05 - Nightworld
donnerte durch das Stahlgeflecht wie ein Schnellzug durch ein Spinnennetz und schoss nach oben, eine monströse, glänzende, grob behauene Säule, die in ihrer scheinbar endlosen Länge in den dunkler werdenden Himmel hochragte.
Bill riss das Fernglas herunter und starrte das Gebilde an, als es sich aus dem Loch löste und weiter nach oben schnellte. Ehrfürchtig presste er sein Gesicht gegen die Fensterscheibe und folgte seinem Verlauf, wobei er überlegte, wie weit es fliegen würde, bevor es seinen Auftrieb verlor und wieder zur Erde stürzte. Seine Gedanken sträubten sich gegen die Einschätzung, welchen Schaden ein Objekt von der Größe eines kleinen Wolkenkratzers anrichten würde, wenn es auf die Stadt fiel.
Die Geschwindigkeit des Aufstiegs verlangsamte sich, dann blieb es stehen. Einen Augenblick lang schwebte es regungslos, eine zyklopische schwarze Säule, die senkrecht in der Luft hing. Dann neigte es sich zur Seite und begann zu fallen. Aber im Fallen veränderte es die Form. Gewaltige Flügel entfalteten sich, flatterten wie Segel, dehnten sich über den Himmel aus und verdeckten die aufgehenden Sterne. Das Ding fing sich und begann davonzugleiten. Es zog eine Runde um den Park, dann drehte es nach Osten ab und war verschwunden.
Erschüttert wandte sich Bill an Glaeken.
»War das der Leviathan, von dem Sie sprachen?«
Glaeken nickte. »Einer davon. Es kommen noch mehr.«
»Aber wie kommt das Ding bei Sonnenaufgang wieder in das Loch zurück?«
»Das muss es nicht. Sie bleiben auf der Nachtseite und halten sich fern vom Sonnenlicht, während sie den Himmel durchsegeln.« Er sah zum Himmel hoch. »Kennen Sie sich mit dem Sternenhimmel aus?«
»Nicht wirklich. Ich finde vielleicht noch den Großen Wagen, aber sonst …«
»Ich schon. Und sie haben sich verändert. Das da oben sind nicht mehr die gleichen Sterne wie letzte Nacht.«
Draußen ertönte ein weiteres heulendes Pfeifen aus dem Loch.
»Da kommt wieder einer«, sagte Glaeken.
Ein Teil von Bill wollte den Vorhang vorziehen, den Fernseher ausschalten und sich unter dem Sofa verstecken. Aber ein anderer Teil musste zusehen. Er zog sich einen Stuhl zum Fenster und wartete in gebannter Faszination, was als Nächstes geschehen würde.
RADIO WFPW
Wir erhalten neue Nachrichten vom gesamten Erdball, besonders aus Europa, wo der Sonnenuntergang Stunden früher eintritt als hier bei uns. Die neuen Löcher, die sich im Laufe des Tages gebildet haben, spucken heute Nacht Schwärme von Kreaturen wie die aus, die in der letzten Nacht für diese Verwüstungen in unserer Stadt gesorgt haben. Die Berichte beschreiben vier verschiedene Arten – zwei mehr, als wir hier zu verzeichnen hatten. Einige der Berichte hier aus der Gegend deuten darauf hin, dass die Kreaturen auf Long Island in besonderer Häufung auftreten.
Monroe, Long Island
Zitternd vor Angst hastete Sylvia durch die zunehmende Dunkelheit und rief, nein, schrie Jeffys Namen. Aber nur das blasse Echo ihrer eigenen Stimme antwortete. Sie keuchte, weil sie die Anstrengung nicht gewohnt war.
Plötzlich schoss ein roter Pick-up um die Kurve direkt vor ihr. Rudy und – Gott, war das wirklich ein kleiner blonder Kopf, der auf der Beifahrerseite durch die Windschutzscheibe lugte? Sylvia rannte auf die Straße und wäre beinahe unter die Räder gekommen, als der Pick-up an den Straßenrand fuhr.
Rudy grinste, als er um die Kühlerhaube seines Wagens lief. »Ich hoffe, das ist er, Mrs. Nash. Wenn er das nämlich nicht ist, wird mich bestimmt jemand wegen Kindesentführung verklagen.«
Slvia fühlte sich wacklig auf den Beinen und sie kämpfte gegen die Tränen an. »Nein, er ist es.« Sie öffnete die Beifahrertür und streckte die Arme nach Jeffy aus. »Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll.«
»Ich habe ihn da hinten auf der Straße gefunden. Er marschierte so zielstrebig voran, als hätte er etwas wirklich Wichtiges zu erledigen.«
Sie presste das Kind an sich. »Ach Jeffy, Jeffy. Ich habe mir solche Sorgen gemacht.«
»Ich will zu Glaeken.«
»Das kannst du jetzt nicht, Liebling. Wir müssen zurück ins Haus, damit diese« – wie hatte der alte Mann sie noch genannt? –, »damit diese Kauwespen uns nicht kriegen können.«
»Aber Glaeken braucht mich.«
Sylvia drückte ihn noch fester an sich. Die Anziehung, die der alte Mann auf Jeffy ausübte, war alles andere als gesund.
Rudy lachte. »Kinder. Man erlebt mit ihnen die tollsten Dinge. Wer ist Glaeken? Ein kleiner
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