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Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter ueberlebt

Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter ueberlebt

Titel: Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter ueberlebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emmy Abrahamson
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Babyfuß in der Hand.
    Er entschuldigt sich für die Verspätung, stellt sich vor  – »Erik« – und bittet mich, einzutreten und Platz zu nehmen.Ich hätte erwartet, dass in seinem Zimmer ein Schreibtisch steht und eine Liege mit hochgestelltem Kopfteil für die Patienten, stattdessen komme ich in ein Spielzimmer. An den Wänden hängen Poster mit allen möglichen Zeichentrickfiguren, und auf dem Linoleumfußboden liegen Spielsachen und große weiche Kissen.
    »Setz dich, wohin du willst«, sagt Erik. Nach dem Ton zu urteilen, in dem er es sagt, und dem Blick, mit dem er es sagt, ist das schon mein erster Test.
    Ich wähle die Sitzgelegenheit, die am wenigsten kindisch aussieht: An einem kleinen roten Holztisch stehen zwei rote hölzerne Bänke. Die Bänke sind allerdings so klein, dass meine Knie auf Schulterhöhe zu stehen kommen. Viel zu spät entdecke ich, dass es in einer anderen Ecke des Zimmers einen ganz normalen Schreibtisch mit zwei ganz normalen Stühlen gibt.
    »Wir können auch dort sitzen«, sage ich und stehe wieder auf.
    »Nein, nein, bleib einfach, wo du bist!«, sagt Erik.
    Dann setzt er sich mir gegenüber auf die andere rote Bank und lächelt freundlich. Ich setze mich wieder hin und lächle auch, während ich mich weiterhin im Zimmer umsehe.
    Im Stillen beschließe ich, das hier so schnell wie möglich hinter mich zu bringen. Wenn es stimmt, was ich in Büchern gelesen und im Fernsehen gesehen habe, wird er mich gleich nach meiner Mutter und meinem Vater fragen. Dann wird er wissen wollen, ob ich eine schwere Kindheit hatte und ob ich Möhren oder andere länglich-runde Sachen hasse. Vielleicht wird er auch eine alte Taschenuhr vor meinen Augen pendeln lassen, um mich zu hypnotisieren, und herausfinden,dass ich in meinem früheren Leben ein syphilitischer römischer Legionär war. Oder Napoleon. Meines Wissens waren die meisten Leute in ihrem früheren Leben Napoleon. Aber dann fällt mir wieder ein, dass Erik ja Kinder- und Jugendpsychologe ist und es nicht viele Kinder geben kann, die wissen, wer Napoleon war. Außer natürlich die, die in ihrem früheren Leben wirklich Napoleon waren . Nein, die meisten Kinder würden wahrscheinlich sagen, dass sie einer der sieben Zwerge, Willi Wiberg oder ein Schlumpf gewesen sind. Was wiederum beweist, dass es ein früheres Leben gar nicht gegeben hat. Es sei denn …
    Hier reißt mich Erik aus meinen Gedanken.
    »Sollen wir was zusammen malen?«, fragt er.
    »Sicher«, antworte ich etwas verwirrt.
    Erik schleppt einen Stapel Papier und zwei große Dosen mit Filzstiften und bunten Malkreiden an. Da es sich mit ziemlicher Sicherheit um einen weiteren Test handelt, nehme ich eine halbwegs neutrale dunkelblaue Kreide und starre auf das Blatt vor mir. Ich spicke, was Erik malt, aber er scheint darauf zu warten, dass ich anfange. Ich muss aufpassen. Obwohl der verbitterte Teil meines Ichs am liebsten brennende Häuser und Hakenkreuze malen würde, möchte ich eben auch so schnell wie möglich Natalie und Marie treffen. Also male ich stattdessen ein paar kerzengerade Linien aufs Papier und füge, weil es ein bisschen minimalistisch aussieht, in einer Ecke des Blatts eine Blume hinzu.
    »Was soll das sein?«, fragt Erik und schielt mit halb geschlossenen Augen und gespielter Teilnahmslosigkeit auf mein Blatt.
    »Linien«, antworte ich. »Und eine Blume.«
    Erik nickt und tut so, als suche er etwas in der Dose mit den Kreiden.
    Inzwischen lasse ich noch ein paar Fliegen um die Blume surren. Dann wähle ich eine gelbe Kreide und male in die rechte obere Ecke eine lächelnde Sonne, damit der Psychologe sieht, dass ich keine Probleme habe. Trotzdem hat mein Bild jetzt etwas beunruhigend Surrealistisches, weshalb ich unten etwas grünes Gras und oben ein paar fluffige Wolken dazumale. Ich male sogar eine Handvoll Strichmännchenkinder, die fröhlich zu der Blume hinlaufen.
    Schließlich wird das Bedürfnis, normal zu erscheinen, so überwältigend, dass ich noch einen kleinen Fluss, ein paar Bäume und ein Haus hinzufüge. Und trotzdem kommt mir das, was ich male, immer weniger normal vor. Es wirkt eher seltsam fremdartig, und das regt mich auf. Ich lasse die Strichmännchenkinder von ihren Eltern begleiten, die ihnen zum Abschied winken, aber so miserabel, wie ich male, ähneln sie mehr Albtraummonstern, die hinter den armen Kleinen her sind. Um die Situation zu retten, male ich den Erwachsenen Fähnchen, mit denen sie winken, aber das Ergebnis ist, dass es

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