Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter ueberlebt
gesagt?«
»Dass es von der Beziehung zu meinen Eltern herrührt«, antworte ich kläglich.
»Genau! Oh, das hört sich wirklich gut an!«
Jetzt habe ich mich wieder gefasst.
»Das heißt, ich bin nicht misstrauisch? Und ich habe nicht das Gefühl, versagt zu haben? Und all das andere auch nicht?«
»Aber nein! Schon als ich dich im Wartezimmer gesehen habe, wusste ich, dass da keine Probleme sind.« Erik beugt sich verschwörerisch über den Tisch. »Ich verrate dir ein Berufsgeheimnis: Ich kann in drei Sekunden beurteilen, ob jemand gesund ist.«
»Und das ist wirklich … professionell?«
Wieder wedelt Erik mit der Hand.
»Der Instinkt macht’s.«
Erik lächelt mich an.
»Du kannst jetzt gehen, wenn du willst. Was die Polizei mit dir gemacht hat, war nicht in Ordnung, aber ich glaube nicht, dass es irgendwelche dauernden Schäden zur Folge hat.«
»Sind Sie sicher? Und wenn es doch traumatisch war?«
Eriks Lächeln verschwindet.
»Vor ein paar Wochen habe ich einen siebenjährigen Jungen behandelt, den seine Eltern seit seiner Geburt misshandelt und gefoltert haben. Von einem Trauma kannst du sprechen, wenn sie dir zum Geburtstag Zigaretten auf dem Bauch ausgedrückt haben.«
Da ich mit so einem Schicksal nicht dienen kann, stehe ich auf. Ich bin vom Sitzen auf der kleinen Holzbank ganz steif, und es geht mir eindeutig schlechter als vor dem Treffen mit Erik Antonsson-Rosing, Dipl. Kinder- und Jugendpsychologe.
»Trotzdem glaube ich, Sie haben recht«, sage ich und setze mich wieder hin.
»Womit?«
»Mit dem, was Sie über Scham- und Schuldgefühle gesagt haben. Und über meine Eltern.« Ich zwinge einen Kloß im Hals hinunter. »Ich bin doch … grenzdebil.«
»Grenz labil «, korrigiert mich Erik.
»Und wenn ich’s mir überlege, brauche ich doch psychologische Hilfe.«
»Und warum solltest du die brauchen?«
»Diesen Sommer … es ist so viel passiert. Mit meinem ganzen Leben irgendwie.«
»Ja, aber so ist das, wenn man sechzehn ist. Es ist eine anstrengende Zeit.«
»Nein, Sie verstehen es nicht. Meine Mutter kommt aus Polen … und sie hat diese durchgeknallten Verwandten …«
Erik lacht schallend, aber ich gebe nicht auf.
»Gibt es vielleicht … eine Art Gesprächsgruppe für Kinder … polnischer Eltern?«
Erik wischt sich die Tränen aus den Augen und muss sich zusammenreißen, um überhaupt antworten zu können.
»Alle Teenies finden ihre Eltern peinlich, das ist normal, weil es uns hilft, die emotionalen Bande zwischen ihnen und uns zu kappen, um selbstständig und am Ende erwachsen zu werden.«
»Es gibt also keine Gesprächsgruppe?«
»Wenn du willst, kann ich dir die Nummer für das Kinder-Nottelefon geben«, sagt Erik, und ich höre im Geist schon das Lachen am anderen Ende der Leitung, wenn ich dort anrufe und von meinen Problemen erzähle.
»Nein, schon gut. War nur Spaß.«
Wir geben uns die Hand, und ich gehe, Erik Antonsson-Rosings Prusten im Ohr, aus dem Zimmer.
»Eine polnische Mutter!«, höre ich ihn kichern.
Ich treffe Natalie und Marie bei Natalie zu Hause. Natalie wohnt in einem rosa Haus mit Blumenbeeten voller gelber Rosen in einer von Ystads schönsten Straßen. Alles in dem Haus ist blitzsauber, und in der Küche steht eine Vase mit geschmackvoll arrangierten Sommerblumen. Natalies Mutter kauft nur in der Markthalle am Marktplatz ein, was ich, wenn ich eine reiche Hundertprozentschwedin bin, auch tun werde.
Natalies Mutter bringt ein Tablett mit drei großen Gläsern Milch und eine Platte voller Zimtschnecken. Es ist alles so, wie ich es mir zu Hause wünschen würde.
»Erzähl, was hast du gemacht, seit du aus Polen zurück bist?«, fragt Natalie und beißt herzhaft in eins der süßen Teilchen.
Hagelzucker rieselt auf ihre schöne Tagesdecke.
»Nicht so viel«, sage ich. »Bei uns zu Hause war’s ein bisschen anstrengend.«
Ich erwähne mit keinem Wort den Kinder- und Jugendpsychologen, weil ich sonst erzählen müsste, dass die Polizei mich festgenommen hat, und wenn ich das erzählen würde, käme unweigerlich Ola Olsson ins Spiel.
Es ist so schön, mit seinen Freundinnen zusammen zu sein, dass ich trotz allen Problemen etwas in mir aufbrechen spüre. Mit zittriger Stimme beginne ich, nachdem alle Zimtschneckenaufgegessen und alle neuesten Gerüchte durchgehechelt sind, Ich geh im Sommerregen zu singen.
»Mag sein, ich bin verwirrt, betrunken und verletzt«, singe ich, »aber ich hab mich noch nie so einsam gefühlt wie jetzt.«
Dann
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