Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter ueberlebt
sind doch jetzt schon ein paar Tage bei Evert«, sagt Mutter. »Magst du nicht nach unten kommen?«
»Bitte nicht diesen Namen!«, sage ich mit sauertöpfischem Blick.
Wenn es Momente gibt, in denen etwas in mir zum Leben erwacht, dann sind es die, wenn ich an Celestyna oder Ola Olsson denke. Dann gerät mein Blut in Wallung.
»Na schön, wenn es dir so besser geht«, sagt Mutter und verschwindet wieder nach unten.
Aber es ist schwer, in Ruhe zu trauern, wenn polnische Handwerker ununterbrochen klopfen, sägen und bohren. Inzwischen bekommt mein Vater auf der anderen Seite der Erdkugel Magengeschwüre bei dem Gedanken, dass jemand uns anzeigt, weil wir illegale Handwerker beschäftigen. Mutters Lösung für das Problem ist ein einziger schwedischer Satz: »Das kann teuer werden.« Sie hat ihn Pan Bogusław und Pan Maciej beigebracht, und sie müssen ihn jedes Mal sagen, wenn jemand draußen vorbeikommt. Damit die Leute denken, wir hätten schwedische Handwerker im Haus.
Dieses Haus sieht wie eine Großbaustelle aus, voller Staub, Rohre, Spachteln und Kellen, Kanthölzer und Ziegelsteine. Die alte Küche ist ausgebaut, und alles, was man zum Kochen braucht, ist ins Wohnzimmer ausgelagert. Mutter kocht auf einer einzigen kleinen Kochplatte, was dazu führt, dass die Mahlzeiten in der Reihenfolge ihrer Zubereitung serviertwerden. Das gestrige Abendessen begann mit totgekochten Bohnen, eine halbe Stunde später gab es angekokelte Bratkartoffeln, und nach noch mal 45 Minuten beschlossen wir das Mahl mit labbrig panierten und zu stark gesalzenen Koteletts. Ohne Mutter etwas zu sagen, habe ich mir hinterher zwei Butterbrote gemacht und sie heimlich oben in meinem Zimmer gegessen.
»Und? Weswegen haben sie dich heute verhaftet?«, fragt Rafał die seltenen Male, wenn er zu Hause ist.
Als Antwort strecke ich ihm die Zunge heraus, und er kontert mit einem Halbnelson, seiner Version einer herzlichen Umarmung. Sogar die Handwerker haben meine Deprilaune bemerkt, und Pan Maciej – der ausschließlich mit Mutter kommuniziert – fragt, ob ich vielleicht seine Bibel ausleihen will.
Und dann ist eine Woche um, und Mutter beschließt, dass es jetzt genug ist, und schickt mich zur Gartenarbeit, weil sie fälschlicherweise glaubt, dass Arbeit den Kopf frei macht.
»Schluss jetzt!«, sagt sie und zieht die Decke weg, die mein Kokon gewesen ist. »Du brauchst Frischluft, bevor du dich noch in eine schrumpelige Kartoffel verwandelst.«
Mit einer Heckenschere in der Hand gehe ich danach an den Hecken entlang und schnipple plan- und sinnlos an ihnen herum. Einmal merke ich, dass ich eine geschlagene Minute lang ausschließlich in die Luft geschnippelt habe, ein anderes Mal merke ich viel zu spät, dass ich Rosen köpfe, die ich nach Mutters ausdrücklicher Anweisung nicht hätte anrühren sollen. Mit einem Seufzer sage ich mir, dass es keine Rolle spielt, weil nichts mehr eine Rolle spielt.
Das Haus ist ein Chaos und der Garten wild entschlossen, sich in einen unbezähmbaren Dschungel zu verwandeln, also kann ich auch mal den Bus nach Ystad nehmen, dann muss ich das alles wenigstens nicht mehr sehen. Zum ersten Mal seit Wochen werde ich Natalie und Marie wiedersehen, das heißt, erst muss ich zu dem anberaumten Termin bei einem Kinder- und Jugendpsychologen.
Ein paar Tage nach meinem Besuch auf der Polizeiwache kam per Brief die Einladung eines gewissen Erik Antonsson-Rosing, »Mitglied des Interventionsteams der Gemeinde Ystad und Dipl.-Psychologe mit dem Schwerpunkt Zwangssyndrome und Kinder mit sozialen und emotionalen Problemen«. Der Brief endete mit einem flockig locker handgeschriebenen »Ich freu mich, dich zu treffen!«. Als ich anrief, um abzusagen und ihnen zu erklären, dass sie der falschen Person geschrieben hätten, weil ich bewiesenermaßen unschuldig sei, sagte die Frau, die meinen Anruf entgegennahm, ich müsse trotzdem kommen, man wolle sichergehen, dass von der falschen Verhaftung nicht irgendwelche langwierigen traumatischen Störungen übrig bleiben.
Jetzt sitze ich in einem Wartezimmer in einer gottverlassenen Ecke des Ystader Krankenhauses und warte auf Erik Antonsson-Rosing. Exakt eine Minute nach der verabredeten Zeit öffnet er die Tür zu seinem Zimmer und lächelt mir entgegen, als gäbe es niemanden auf der Welt, den er lieber sähe. Er ist ein kleiner dicker Mann um die dreißig mit einem netten Gesicht, aber sein Händedruck ist so schlaff, dass es sich anfühlt, als hätte man einen
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