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Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter ueberlebt

Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter ueberlebt

Titel: Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter ueberlebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emmy Abrahamson
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aussieht, als hielten sie große Fleischeräxte in den Händen.
    Das Bild ist genau wie dieser Sommer: Ich investiere all meinen guten Willen, und trotzdem läuft alles falsch. Umso mehr muss ich Erik Antonsson-Rosing davon überzeugen, dass dieses Bild das Glück zeigt und keine blutrünstige Horde, die eine Handvoll unschuldige Kinder auf eine von Insekten belagerte Pflanze zujagt, während eine hysterisch sengende Sonne das Inferno auch noch grell beleuchtet.
    »Die sind fröhlich !«, rufe ich, ohne lange zu überlegen, ob das nun besonders klug ist.
    Ich schaue auf und sehe, dass Erik mich offenbar schon eine ganze Weile beobachtet hat.
    » Wer ist fröhlich?«, fragt er.
    »Die Kinder«, sage ich. »Und die Erwachsenen. Und die Sonne. Und die Fliegen. Alle.«
    Ich sage es und weiß, dass mein unglücklicher Gesichtsausdruck nur zu gut zeigt, wie wenig meine Worte mit der Realität zu tun haben. Sie sind der hilflose Ausdruck eines sinnlosen Protests. Erik Antonsson-Rosing versteht sein Handwerk. In nicht einmal zehn Minuten ist es ihm gelungen, mich zu knacken.
    »Ich glaube, ich will nicht mehr malen«, sage ich leise.
    Erik nimmt mein Bild und studiert es genauer.
    »Sind die großen Figuren Polizisten?«, fragt er vorsichtig.
    Aha, darauf will er hinaus.
    »Ja«, lüge ich und nicke.
    »Und bist du auch auf dem Bild?«
    »Ja«, lüge ich wieder.
    »Wo denn?«
    Ich zeige auf das allerkleinste Strichmännchen. Das in der Eile nur ein Bein und zwei senkrechte Striche als Haare bekommen hat.
    Erik legt das Bild auf den Tisch, verflicht seine knubbeligen Finger und sieht mich an. Hinter ihm an der Wand hängt eine Micky-Maus-Uhr. Ein schwaches Ticken ist zu hören, draußen vor dem Fenster startet ein Auto und fährt weg.
    »Warum lügst du, Alicja?«, fragt Erik plötzlich.
    Warmes Blut strömt mir in die Wangen.
    »Ich lüge nicht«, lüge ich.
    Erik sagt nichts. Die Uhr tickt weiter.
    »Okay, vielleicht hab ich gelogen, dass es Polizisten sind und dass ich das bin. Das hier bin ich«, sage ich und zeige auf eine andere, etwas größere Figur. »Aber nur weil ich dachte, dass es das war, was Sie hören wollten.«
    »Und warum ist es dir so wichtig, es mir recht zu machen?«
    »Weil Sie ein Kinder- und Jugendpsychologe sind.«
    »Und was hat das mit der Sache zu tun, um die es hier geht?«
    Ich weiß nicht, ob das jetzt noch ein Test ist, und mir fällt auch nicht ein, was ich sagen soll. Erik sieht mich weiter an.
    »Soll das nicht der Sinn des Treffens sein?«, frage ich. »Dass wir uns treffen und … damit es mir besser geht?«
    »Dieses Treffen wurde von der Polizei und der zuständigen Behörde arrangiert, damit ich mir ein Bild von deiner psychischen Verfassung machen kann.«
    »Aber ich bin okay.«
    Erik schaut auf seine Armbanduhr, auf der ebenfalls Micky Maus abgebildet ist.
    »Du bist jetzt seit einer Viertelstunde hier«, sagt er, »und in der Viertelstunde habe ich schon herausgefunden, dass du Anzeichen von Schüchternheit und Misstrauen zeigst. Gleichzeitig demonstrierst du mit der Wahl deines Sitzplatzes und dem Bild, das du gemalt hast, dass du das Treffen mit mir auf passiv-aggressive Weise lächerlich machen willst. Mit größter Wahrscheinlichkeit haben wir es also mit einem manifesten Schuldbedürfnis zu tun, das dir den Umgangmit deinen Gefühlen von Scham und Versagen erleichtert.«
    »Was?«
    »Darüber hinaus halte ich dich für grenzlabil mit einem verschobenen Weltbild, das von der Beziehung zu deinen Eltern herrührt. Ohne fortgesetzte psychiatrische Hilfe wird dein Zustand sich zweifelsohne verschlechtern und bald zu sowohl physischen als auch sozialen Störungen führen.«
    »Aber … aber …«, stottere ich. »Was?«
    Das Ticken der Micky-Maus-Uhr wird lauter, während Eriks Worte in meinen Ohren nachhallen.
    Nach einer kleinen Ewigkeit, in der ich mir mein neues Leben mit Zwangsjacke in einer grau-weißen Gummizelle vorstelle, breitet sich ein Lächeln auf Eriks Gesicht aus. Dann wedelt er mit der Hand.
    »War doch nur Spaß!«, sagt er.
    »Was?«, wiederhole ich wie ein Papagei.
    Erik sieht sehr zufrieden mit sich selbst aus und beginnt, Notizen zu machen.
    »War doch nur Spaß! Dir fehlt nichts«, sagt er. »Ich stecke gerade mitten in der Fortbildung zum pädagogischen Psychologen mit dem Schwerpunkt Rational-Emotive Verhaltenstherapie. Ich wollte nur ein bisschen üben. – Klang doch gut, oder?«
    Erik schreibt weiter.
    »Was habe ich nach dem ›verschobenen Weltbild‹

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