Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter ueberlebt
dass ihr zusammenkommen sollt, meinst du nicht, dann wäre es auch passiert?«
»Das Scheißschicksal ist mir egal. Verdammte Höllenkackscheiße, es tut so weh!«
Das waren so viele Flüche in so kurzer Zeit, dass ich Mutters Theorie, Natalie werde es schon verstehen, getrost vergessen kann.
»Wenn sie an unserer Schule ist, müssen wir sie fertigmachen, bis sie reif für die Klapse ist«, fährt Natalie fort.
»Die stellen wir auf null, ich versprech’s dir«, sagt Marie und umarmt Natalie, während ich mich frage, wann genau sich die Persönlichkeiten meiner zwei besten Freundinnen dermaßen verändert haben.
»Müssen wir sie gleich fertigmachen?«, frage ich mit schwacher Stimme. »Vielleicht gibt es ja noch was anderes, was wir versuchen können.«
»Wie zum Beispiel ihre Schulbücher die Toilette runterspülen?«, bricht es aus Marie heraus.
»Und immer so tun, als würde es nach Scheiße riechen, wenn sie auftaucht?«, sagt Natalie. »Alicja, du bist ein Genie!«
Sie umarmt mich vollkommen begeistert.
»Jetzt geht’s mir schon besser – Zeit für Gyllene Tider !« Natalie springt auf und beginnt, die auf dem Bett liegenden Kassetten zu durchwühlen. » Ich darf diesmal den Song aussuchen!«
Es wird Freundin eines Freunds und passt zu gut, als dass es sich um einen Zufall handeln könnte. Heißt das, Natalie weiß, wer Ola Olssons Freundin ist? Aber warum sagt sie dann nichts, sondern spielt dieses makabre Spiel mit mir? Ich tue trotzdem so, als wäre nichts, und schlüpfe in meine Per-Gessle-Rolle.
Natalie spult die Kassette vor zum richtigen Song und spielt die bekannten ersten Gitarrentöne.
»Ich bin hier« , singe ich, »kannst du mich sehn?
Ich bin hier, kannst du mich sehn, mein Herz?
Will nicht die Augen schließen und verletzen,
Will dich nur an mich drücken, so wie jetzt.«
Dann bin ich schon beim Refrain.
»Du bist die Freundin eines Freunds,
Und ein Freund vertraut dem Freund.«
»Ah-ah« , singen Natalie und Marie.
»Die Freundin eines Freunds,
Er weiß nicht, was ich fühle.«
Zum ersten Mal spüre ich Gessles Kummer und Schmerz. Ich bin verblüfft, wie es ihm gelungen ist, exakt meine Gefühle in Worte zu fassen. Außer dass bei ihm ein Mann so leiden muss natürlich. Wenn ich so was könnte, hätte ich den Text glatt selbst schreiben können.
Und als der Song zu Ende ist, weiß ich, dass ich so nicht weitermachen kann.
» Ich bin’s«, sage ich.
»Was bist du?«, fragt Natalie und legt die Luftgitarre weg.
»Ich bin Ola Olssons neue Freundin.«
Niemand rührt sich oder sagt etwas.
»Seit wann seid ihr zusammen?«, fragt schließlich Marie.
»Es hat vor ein, zwei Wochen angefangen. Natalie, es tut mir so schrecklich leid. Bitte verzeih mir! Ich weiß, wie schlimm das ist, was ich gemacht habe.«
Wir stehen immer noch wie drei Statuen.
»Natalie, es ist einfach passiert. Glaub mir! Ich wollte dich nie hintergehen. Bitte, bitte vergib mir!«
Von mir aus könnte Natalie ihre ganze Wut an mir auslassen oder mir sämtliche Schimpfwörter der Welt an den Kopf werfen – alles wäre besser als das, was sie jetzt tut. Sie setzt sich einfach aufs Bett und fängt an zu weinen. Es ist das herzzerreißende Weinen von jemandem, dessen großer Traum soeben wie eine Seifenblase zerplatzt ist.
Marie setzt sich zu ihr und legt vorsichtig den Arm um sie. Ich dagegen stehe da und frage mich, ob das jetzt die richtige Gelegenheit wäre, mir meinen Judasstrick zu besorgen.
Nach einer Weile setze ich mich auch neben Natalie.
»Bitte geh!«, sagt sie durch die Hände, die ihr Gesicht bedecken. »Geh einfach! Geh weg von hier!«
Ohne etwas zu sagen, nehme ich meine Jacke und gehe.
Im Bus nach Hause lehne ich den Kopf gegen das Fenster und schaue hinaus. Sobald ich die Augen schließe, schießen mir derart düstere Gedanken in den Kopf, dass ich die Augen offen halten muss. Viele Felder sind schon abgeerntet. Der Sommer ist fast um.
Als ich nach Hause komme, erwarten mich Neuigkeiten.
»Sylwia hat gerade angerufen«, sagt Mutter.
O nein, ich hab ihr doch vergessen zu sagen, dass sie Sylwia anrufen soll. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Gewinnerin der Preise für die schlechteste Freundin und die schlechteste Nachrichtenüberbringerin des Jahres steht hiermit fest!
»Evert und Sylwia werden heiraten!«, sagt Mutter fröhlich.
»Was?«
»Schon in einer Woche, nächsten Samstag. Sie waren schon auf den Ämtern und alles.«
»Aber … aber warum so schnell?
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