Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter ueberlebt
Vorteile hat.
Eine Lockenwicklerklammer hat sich gelöst, und der Lockenwicklerbaumelt neben meiner Wange, aber ich habe keine Zeit, ihn wieder zu befestigen. Ich habe immer noch Herzklopfen und muss mich trotzdem um die Jungs von den Elektrizitätswerken kümmern. Der Kleinere ist vom Sicherungskasten zurück, und als ich mich neben sie stelle, sehe ich etwas, was sie sicher auch schon gesehen haben: mehrere Dutzend Bierdosen, die in einer Zimmerecke stehen. Bei genauerem Hinsehen stehen sogar in allen vier Ecken der Küche Bierdosen.
»Was machen die denn da?«, sage ich. »Die muss Vater stehen gelassen haben. Wenn er abends nach Hause kommt, schaut er sich gern an, was ich tagsüber so gemacht habe.«
Es kommt mir so vor, als würden die Lockenwickler auf meinem Kopf von Minute zu Minute schwerer. Ich finde eine große Plastiktasche und beginne, die Bierdosen einzusammeln.
»Oh, oh, der hat wieder ganz schön Durst gehabt!«, sage ich und stelle die volle Tasche so beiseite, dass man sie nicht sieht.
Mir schlägt das Herz immer schneller. Jetzt werden sie nicht nur glauben, dass ich eine Art hyperaktive Pippi Langstrumpf bin, sondern auch noch schwere Alkoholikerin.
Sie flüstern miteinander. Dann klopft mir der Kleinere auf die Schulter.
»Mein Vater hat auch gesoffen«, sagt er. »Ich weiß, wie beschissen das ist.«
Ich nicke, ohne etwas zu sagen.
»Dafür muss man sich nicht schämen«, fährt er fort. »Übrigens gibt es Leute, mit denen du darüber reden kannst, wenn es dir zu viel wird.«
Ich senke den Kopf, wobei sich noch mehr Lockenwickler lösen.
»Ich bin schon bei einem Psychologen«, sage ich und versuche so traurig und schüchtern wie möglich zu klingen. »Erik Antonsson-Rosing. In Ystad.«
Der Kleinere tappt mir wieder auf die Schulter.
»Das ist gut«, sagt er. »Aber lass deinen Vater nicht mehr bohren oder im Garten graben, sonst kann es noch richtig böse enden.«
»Tak« , sage ich auf Schwedischpolnisch.
Nach einer halben Stunde haben die Jungs von den Elektrizitätswerken das Kabel ausgetauscht und sind endlich weg. Pan Maciej kommt und sagt, Pan Bogusław habe beschlossen, sich für den Rest des Tages auszuruhen. Ich gehe in mein Zimmer und mache die Lockenwickler ab, die meine Haare leider doch nur in ein paar wenig aufregende Wellen gelegt haben.
Dann geht mir auf, dass ich eine geschlagene halbe Stunde nicht an Ola Olsson gedacht habe, und ich nehme mir vor, nicht zu vergessen, dass Mutter unbedingt Sylwia anrufen soll.
18
Der Schulanfang rückt immer näher und damit ein Problem, das ich seit Ales Stenar verdrängt habe: Natalie. Ich habe eine meiner beiden besten Freundinnen verraten und bin mit dem Jungen zusammen, in den sie verliebt ist.
Was hat eigentlich Judas getan, um seinen Verrat an Jesus wiedergutzumachen? Nachdem ich eine Stunde in Vaters alter Bibel gelesen habe, weiß ich, dass Judas das Geld zurückgeben wollte, das er für den Verrat bekommen hatte. Außerdem hat er sich danach erhängt. Ola Olsson zurückzugeben und danach Selbstmord zu begehen war nicht gerade das, worauf ich spekuliert hatte. Lieber wäre mir gewesen, wenn Gott und Jesus dem Verräter Judas im wahren christlichen Geist verziehen hätten. Natürlich hätte er ihnen sagen müssen, dass es ihm sehr, sehr, sehr leidtut, was er getan hat, aber danach hätte für den Rest der Geschichte bitte Friede, Freude, Eierkuchen sein können.
Als Ola mich morgens anruft, schlägt er vor, dass wir bei dem tollen Wetter zum Strand radeln.
»Zum Strand?«, sage ich.
»Du weißt schon: das Sandige zwischen uns und dem Meer.«
»Aber … aber da sind ja ein Haufen Leute«, sage ich.
»Ja, ich weiß, es ist vollkommen verrückt«, sagt Ola. »Was meinst du, ob sie es bei der Zeitung schon wissen?«
»Ich meine, können wir uns nicht einfach wieder bei dir treffen?«
»Meine Mutter ist heute den ganzen Tag zu Hause«, sagt Ola. »Außerdem sollten wir’s ausnutzen, dass die Schule noch nicht angefangen hat. Sei kein Frosch! Sonne und Strand – vielleicht ist es für dieses Jahr unsere letzte Chance.«
Ich gehe auf den Vorschlag mit dem Strand erst ein, als Ola mir verspricht, dass wir nicht an den überlaufenen Strand von Sandhammaren gehen, sondern nach Backåkra fahren.
In meinen Fahrradkorb packe ich ein Handtuch, eine Sonnenbrille, eine Flasche Wasser, einen Apfel und ein paar Brote mit polnischem Schinken, die Mutter mir aufgezwungen hat. Den Bikini trage ich schon unter dem T-Shirt
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